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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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vierzig Jahre alt. Er war hager, aber sein
runzliges Gesicht drückte trotz eines entbehrungsreichen Lebens
Humor aus. Und er war stolz auf sein Boot.
    Um das Kanu zu bauen, hatte er ein langes Rindenoval von einem
Eukalyptusbaum abgeschält und es an den Enden zu einem Bug und
Heck zusammengebunden. Das Dollbord war mit einem mit Pflanzenfasern
ummantelten Stock verstärkt, und kurze Stöcke dienten als
Beschlag. Die Ritzen und Nähte waren mit Lehm und Harz
kalfatert. Dennoch war das Kanu instabil; es lag tief im Wasser, bog
sich mit jeder Welle durch und leckte wie ein Sieb. Trotz der
bauartbedingten Mängel vermochte man das Boot mit etwas
Können aber sogar in unruhigem Wasser zu beherrschen. Auch wenn
es primitiv anmutete, lag seine wahre Schönheit in der
Einfachheit; Jo’on hatte es an einem Tag
zusammengeschustert.
    Jo’ons Vorfahren hatten nach Ejans Pionierleistung ganz
Australien durchquert und waren vom Nordwesten durch die trockene
Mitte des Kontinents bis zu diesem südöstlichen Zipfel
gewandert. Aber sie hatten nie das Talent verloren, ein gutes Boot zu
bauen. In Jo’ons Kanu gab es sogar Feuer, das auf einer Schicht
feuchten Lehms auf dem Boden brannte, sodass sie die gefangenen
Fische auch gleich zu braten vermochten.
    Das heißt, sie hätten die Möglichkeit dazu gehabt,
wenn sie welche gefangen hätten.
    Jo’on war das aber auch egal. Er hätte den ganzen Tag
hier in der einlullenden Stille stehen können, ob ihm nun ein
Fisch vor den Speer schwamm oder nicht. Nicht einmal die Krokodile,
die mit funkelnden Augen an ihm vorbei glitten, vermochten ihn aus
der Ruhe zu bringen. Hier war es auf jeden Fall besser als im Lager
am Ufer, wo einem die Kinder zwischen den Füßen
herumliefen, die Männer ihre Mätzchen machten und die
Frauen Wurzeln schabten. Ganz zu schweigen von den kläffenden
Dingos. In seinen Augen waren diese halbwilden Hunde lästiger,
als sie wert waren, auch wenn sie manchmal als Jagdhunde von Nutzen
waren…
    Nun riss Leda der Geduldsfaden. Mit einem verärgerten
Schnauben warf sie die Leine ins Wasser. »Blöde
Fische.«
    Jo’on setzte sich ihr gegenüber. »Komm schon, Leda.
Die Fische beißen heute eben nicht. Du hättest die Leine
nicht wegwerfen sollen. Wir werden…«
    »Und blödes, nutzloses und leckendes Boot!« Sie
trat in die Pfütze, die sich auf dem biegsamen Boden des Boots
ausbreitete und spritzte ihn nass.
    Seufzend griff er sich eine Kalebasse und schöpfte das Wasser
aus dem Kanu. Er sagte nichts mehr und hoffte, dass sie sich wieder
einkriegte.
    Leda hatte Fischinnereien auf dem Kopf liegen, die in der Sonne
langsam trockneten. Traniges Öl rann ihr über den Kopf und
den Körper. Das Öl hielt die Moskitos fern, die den See zu
dieser Jahreszeit heimsuchten. Sie hatte das Näschen
gerümpft und zog einen Schmollmund. Sie war nur ein Jahr
jünger als Jo’on und mit zunehmendem Alter eine reizbare
Matrone geworden.
    Sie hat nie hässlicher ausgeschaut, sagte er sich. Und doch
wusste er, dass er sie niemals verlassen würde. Er erinnerte
sich noch, als sei es erst gestern gewesen, an den Tag, als er ihr
das jüngste Kind hatte wegnehmen müssen – er hatte ihm
den Kopf mit einem Stein zertrümmert und die Leiche dann ins
Feuer geworfen – und an den Tag, als er nur ein paar Monate
später eine Abtreibung hatte vornehmen müssen, indem er ihr
solang in den Bauch geschlagen hatte, bis das Kind vorzeitig das
Licht der Welt erblickte.
    Sie hatte aber verstanden, weshalb er ihr die Kinder hatte
wegnehmen müssen. Die Leute waren auf der Wanderung gewesen, und
sie hatte schon ein gerade erst entwöhntes Kleinkind am Hals
gehabt. Sie hätte es sich gar nicht leisten können, noch
ein Kind zu bekommen. Das war ihr völlig klar gewesen. Sie hatte
nicht einmal eine Bindung zu den Kindern entwickelt; dazu hatte sie
sie zu früh verloren. Doch hatten diese Ereignisse ihre
Persönlichkeit geformt und ihr ein Muster aufgeprägt, das
so zerrissen war wie der Schlamm eines ausgetrockneten Seebodens. Und
an dem Schmerz, den sie litt, gab sie Jo’on die Schuld.
    »Wir müssen das besser machen«, nörgelte
sie.
    »Hmm.« Er strich sich übers Kinn. »Eine
dickere Leine? Oder vielleicht…«
    »Ich spreche nicht von dickeren Leinen, du Haufen
Krokodilscheiße. Schau dir das an.« Sie hielt den
Speer mit der angeklebten Knochenspitze hoch. »Du bist ein Narr.
Du fischst mit Knochen, während Alli eine mit Feuerstein besetzte Harpune verwendet. Kein Wunder, dass seine Kinder

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