Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Schlaf jetzt.«
    Doch Rood fand keinen Schlaf.

 
III
     
     
    Der Knochenkopf kehrte zur Höhle zurück. Jahna sah, dass
er eine Robbe dabeihatte, das ganze Tier – es war ein
dickes, schweres Männchen, das er sich über die Schulter
geworfen hatte. Obwohl sie schon ein paar Wochen in dieser Höhle
unter dem Rand der Klippe war, erstaunte seine Kraft sie immer
wieder.
    Millo kam mit flatterndem Umhang im Knochenkopf-Stil angerannt.
»Eine Robbe! Eine Robbe! Heute Abend werden wir gut essen!«
Er umklammerte die baumstammartigen Beine des Knochenkopfs.
    Genauso wie er die Beine seines Vaters umklammert hatte. Jahna
verdrängte diesen unwillkommenen Gedanken; damit durfte sie sich
nicht mehr belasten, denn sie musste stark sein.
    Der Knochenkopf, der von der Anstrengung schwitzte, ein solches
Gewicht vom Strand über den Sims der Klippe hier
heraufzuschleppen, schaute auf den Jungen hinab. Dann stieß er
ein paar gutturale Grunzlaute aus, ein Gestammel ohne irgendeine
Bedeutung… oder zumindest glaubte Jahna, dass es nichts
bedeutete. Manchmal fragte sie sich, ob er doch Worte sprach –
Knochenkopf-Worte, welch seltsame Vorstellung –, die sie nur
nicht verstand.
    Sie trat vor und zeigte auf den hinteren Bereich der Höhle.
»Leg die Robbe dorthin«, befahl sie. »Wir werden sie
gleich zerlegen. Schau, ich habe schon ein Feuer gebaut.«
    Das hatte sie wirklich. Schon vor Tagen hatte sie eine Grube
für eine ordentliche Feuerstelle ausgehoben und die
hässlichen Ascheflecken beseitigt, mit denen der Boden
übersät war. Und dann hatte sie die Höhle erst einmal
entrümpelt. Sie war in Ekel erregender Unordnung gewesen, in dem
Nahrungsreste, Fetzen von Tierhäuten und Werkzeug mit allem
möglichen Unrat vermengt waren. Nun schien die Höhle
immerhin fast bewohnbar.
    Das heißt für Leute. Sie fragte sich aber lieber nicht,
was ›bewohnbar‹ für die mächtige Kreatur
bedeutete, die sie sich als Knochenkopf vorstellte.
    Im Moment machte der Knochenkopf einen unzufriedenen Eindruck. In
diesem Zustand war er unberechenbar. Knurrend warf er die Robbe auf
den Boden und stapfte verschwitzt, verschmutzt und mit
meersalzverkrusteter Haut in den hinteren Abschnitt der Höhle,
um ein Nickerchen zu machen.
    Jahna und Millo nahmen derweil die Robbe aus. Sie war durch einen
Speerstoß ins Herz getötet worden, der eine große
hässliche Einstichstelle hinterlassen hatte. Jahna schauderte
bei der Vorstellung, welcher Kampf diesem Todesstoß
vorausgegangen sein musste. Mit den scharfen Steinklingen ging den
Kindern das Ausnehmen und Zerlegen des großen
Meeressäugers aber schnell von der Hand.
    Der Knochenkopf wachte gewohnheitsmäßig rechtzeitig zum
Essen auf. Die Kinder aßen das Fleisch gut durchgebraten. Der
Knochenkopf aß es fast roh. Er holte sich ein großes
Steak aus dem Feuer, ging damit zu seinem Lieblingsplatz am Eingang
und zerriss das Fleisch mit den Zähnen. Dabei betrachtete er den
Sonnenuntergang. Er aß viel Fleisch, ungefähr
doppelt so viel wie beispielsweise Rood. Dafür arbeitete er aber
auch sehr hart.
    Es war eine eigentümlich häusliche Szene. Aber das ging
schon so, seit Jahna und Millo vor ein paar Wochen hier reingeschneit
waren. Irgendwie funktionierte es.
    Es war den Alten Mann immer schwer angekommen, allein zu leben;
seine Art war sehr gesellig. Und er litt auch nicht nur unter der
Einsamkeit. Er hatte nämlich noch das alte
›Schubladen-Bewusstsein‹. Die meisten Vorgänge in
seinem großen Schädel liefen unbewusst ab; es war, als ob
seine Hände die Feuerstein-Werkzeuge fertigten und nicht er. Erst beim Zusammentreffen mit Leuten lebte er wirklich auf und
erlangte das volle Bewusstsein; allein schien er sich in einem halb
bewussten Traumzustand zu befinden. Für die Art des Alten Manns
waren andere Leute wie Leuchtfeuer in der Landschaft. Ohne die
Gesellschaft anderer Leute war die Welt öde, leblos und
statisch.
    Deshalb hatte er die dürren Kinder mit ihrem Geplapper und
ihrer Wuseligkeit auch geduldet, deshalb hatte er sie auch
ernährt und sogar gekleidet. Und deshalb würde er auch bald
dem Tod ins Auge sehen.
    »Millo. Schau«, flüsterte Jahna. Sie schaute sich
um und vergewisserte sich, dass der Knochenkopf sie nicht sah. Dann
scharrte sie im Schmutz und brachte eine Anzahl verkohlter Gebeine
zum Vorschein.
    Millo stockte der Atem. Er hob einen Schädel auf. Er hatte
ein vorspringendes Gesicht und einen dicken Wulst über den
leeren Augenhöhlen. Aber der Schädel war klein,

Weitere Kostenlose Bücher