Evolution
verstreuten Allosaurier stürzten in eine tiefe
Krise, weil ihre Beutetiere rar wurden.
Nach einer besonders entbehrungsreichen und trockenen Zeit stellte
Lauscher fest, dass die Alte hinkte. Vielleicht litt sie nun auch in
den Hüften an Arthritis, von der Hals und Schwanz schon
länger befallen waren.
Die Zeit war gekommen.
Und dann roch und schmeckte Lauscher etwas im Ostwind, das sie
schon seit langer Zeit nicht mehr wahrgenommen hatte. Es war Salz.
Und sie wurde sich bewusst, dass das Schicksal der Matriarchin nicht
mehr wichtig war.
Schließlich gelang es ihr, die Jäger hinter sich zu
vereinen.
Die große Diplo-Kuh war nun hundertzwanzig Jahre alt. Ihre
Haut trug die Spuren unzähliger Räuber-Attacken, und viele
der knochigen Stacheln auf dem Rücken waren abgebrochen. Aber
sie wuchs noch immer und brachte es inzwischen auf erstaunliche
zweiunddreißig Tonnen. Nachdem die Knochen aber für so
lange Zeit ein solches Gewicht hatten stützen müssen, waren
sie nun mürbe und hatten die Matriarchin zur Invalidin
gemacht.
An dem Tag, als die Kräfte sie schließlich
verließen, dauerte es nur ein paar Minuten, bis sie von der
stetig dahintrottenden Herde getrennt wurde.
Die Ornithen warteten. Sie hatten schon seit Tagen gewartet. Sie
reagierten sofort.
Drei Männer – alle Söhne von Lauscher –
führten den Angriff. Sie umrundeten die Matriarchin und
ließen die Peitschen aus gegerbtem Leder knallen, wobei sie den
Überschallknall der Diplo-Schwänze imitierten.
Ein paar Tiere aus der Diplo-Herde schauten trübe
zurück. Sie erkannten die Matriarchin und die winzigen
Räuber. Nicht einmal in diesem Moment wollten die kleinen
Diplo-Gehirne von der Millionen Jahre alten Programmierung
abrücken, dass diese dürren Fleischfresser keine Bedrohung
darstellten. Die Diplos wandten sich ab und widmeten sich wieder dem
großen Fressen.
Die Matriarchin sah die kleinen Gestalten, die vor ihr
herumhampelten. Sie grollte gereizt, und die Steine im Magen
rumpelten. Sie versuchte den Kopf zu heben und den Schwanz zum Tragen
zu bringen, doch zu viele Gelenke waren schon in schmerzhafter
Bewegungsunfähigkeit erstarrt.
Nun griff die zweite Welle der Jäger an. Sie war mit Speeren
mit vergifteten Spitzen bewaffnet und setzten die klauenbewehrten
Hände und Füße ein. Sie attackierten die Matriarchin
auf die gleiche Art, wie die Allosaurier es auch getan hatten
-Angriff und Rückzug.
Jedoch hatte die Matriarchin nicht umsonst über hundert Jahre
überlebt. Sie ignorierte den heißen Schmerz, der von den
Nadelstichen in der Flanke ausstrahlte und richtete sich mit letzter
Kraft auf den Hinterbeinen auf. Wie ein einstürzendes
Gebäude dräute sie über der Horde der Fleischfresser
und schlug sie in die Flucht. Sie schlug so hart auf dem Boden auf,
dass sie ein kleines Erdbeben verursachte und beim Aufprall der
Vorderfüße Schmerzwellen durch jedes größere
Gelenk im Körper liefen.
Wenn sie nun geflohen wäre, wenn sie der Herde gefolgt
wäre, hätte sie möglicherweise überlebt und
vielleicht sogar die Verwundungen durch die Speere auskuriert. Aber
nach dieser letzten gewaltigen Anstrengung war sie erschöpft.
Und es war ihr auch nicht vergönnt, sich zu erholen. Wieder
griffen die Jäger an und attackierten sie mit Speeren, Klauen
und Zähnen.
Und dann kam Lauscher.
Lauscher hatte sich ausgezogen und sogar die Peitsche von der
Hüfte abgewickelt. Sie stürzte sich auf die zitternde
Flanke des Diplos, die wie ein Berg vor ihr aufragte. Die Haut war
zäh und widersetzte sich sogar ihren scharfen Klauen. Sie war
kreuz und quer von Furchen durchzogen, den Narben alter Wunden, in
denen rote und grüne Parasiten blühten. Der Gestank nach
verwestem Fleisch war kaum auszuhalten. Aber sie machte weiter,
stieß die Klauen in den Körper und erklomm ihn, bis sie
die Stacheln erreicht hatte, die aus dem Rücken der Matriarchin
ragten. Dann biss Lauscher dem Diplo in den Rücken und zerrte an
den Hornplatten unter der Haut.
Vielleicht erinnerte der Diplo sich in einem dunklen Winkel des
Bewusstseins an den Tag, als er das Leben dieses kleinen Ornithen
zerstört hatte. Nun spürte sie die neuen Schmerzen am
Rücken und versuchte den Kopf zu drehen – wenn sie den
Störenfried schon nicht zu beseitigen vermochte, wollte sie ihn
wenigstens sehen. Aber es gelang ihr nicht.
Lauscher brach ihre fieberhafte und grausame Wühlarbeit erst
ab, als sie zum Rückenmark vorgedrungen war. Sie durchtrennte es
mit einem schnellen
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