Evolution
und anderen Insekten zu
überleben, die Nährstoffe zu den tiefen Wurzeln
beförderten und auch nicht ohne die pelzigen Säugetiere mit
den klaren Augen, die ihm Wasser, Nahrung und Salz brachten und seine
Samen einpflanzten. Sogar die Blätter gehörten streng
genommen zu einer anderen Pflanze, die auf ihm lebte und sich von
seinem Saft ernährte.
Andererseits hätten die Symbionten, einschließlich der
Menschenabkömmlinge, aber auch nicht ohne die Feuchtigkeit des Baums zu überleben vermocht. Die zähen Blätter
schützten sie vor Räubern, vor der sengenden Hitze und
sogar vor den Jahrhundert-Stürmen. Der Saft wurde über die
Bauch-Wurzeln eingespeist, über die der Baum im Gegenzug
Nährstoffe bezog: Babys wurden nicht gestillt, sondern in der
Obhut des Baums durch diese pflanzlichen Nabelschnüre
ernährt. Der aus dem tiefsten Grundwasser gewonnene Saft half
ihnen auch über die schlimmsten superkontinentalen Trockenzeiten
hinweg – und weil der Saft mit entsprechenden Chemikalien
angereichert war, heilte er auch Wunden und Krankheiten.
Und der Baum war sogar an der menschlichen Reproduktion
beteiligt.
Es gab noch immer Sex, aber nur eingeschlechtlichen Sex, weil es
nur noch ein Geschlecht gab. Sex diente nur noch dem Knüpfen und
der Festigung sozialer Bande und dem Vergnügen. Die Leute
brauchten keinen Sex zur Vermehrung mehr, nicht einmal zum Vermischen
genetischen Materials. Der Baum kümmerte sich darum. Er
reicherte seinen Saft mit Körperflüssigkeiten eines
›Elters‹ an, vermischte sie und ließ sie im
mächtigen Stamm zirkulieren und injizierte sie dann in jemand
anders.
Die Leute gebaren aber noch. Ultima selbst hatte das Kind geboren,
das nun in seiner pflanzlichen Wiege lag. Dieses Erbe, diese Bindung
zwischen Mutter und Kind hatte sich als zu elementar erwiesen, um sie
aufzugeben. Aber man fütterte sein Kind nicht mehr, weder an der
Brust noch sonst wie. Alles, was man seinem Kind geben musste, war
Zuwendung und Liebe. Man zog es nicht mehr auf. Das übernahm der Baum mit den organischen Mechanismen in den blättrigen
Kokons.
Natürlich fand noch immer eine gewisse Auslese statt. Nur die
Individuen, die gut mit dem Baum und miteinander
zusammenarbeiteten, wurden integriert und durften zum zirkulierenden
Strom von Keim-Material beitragen. Die Kranken, die Schwachen und die
Behinderten wurden mit pflanzlicher Erbarmungslosigkeit
ausgestoßen.
Eine so starke Annäherung der Biologien von Flora und Fauna
wäre früher unwahrscheinlich erschienen. Doch im Lauf der
Zeit vermochten Adaption und Selektion einen vierflossigen
Lungenfisch durchaus in einen Dinosaurier zu verwandeln oder in einen
Menschen, ein Pferd, einen Elefanten oder in eine Fledermaus –
und sogar wieder zurück in einen Wal, eine fischartige Kreatur.
Da war es eine vergleichsweise leichte Übung, Menschen und
Bäume über eine schlauchartige Verbindung
aneinanderzukoppeln.
In den Mythen der verschwundenen Menschheit war dieses neue
Arrangement schon ansatzweise vorweggenommen worden. Die
mittelalterliche Legende vom Lamm des Schafsgewächses hatte vom
Borametz gehandelt, einem Baum, dessen Früchte winzige
Lämmer enthielten. Die Legenden der Menschheit waren nun
vergessen, aber die Sage vom Borametz, der Tier und Pflanze vereinte,
fand in diesen letzten Tagen einen eigentümlichen Widerhall.
Aber auch dafür hatte man wie immer einen Preis zahlen
müssen. Die komplexe Symbiose mit dem Baum hatte die
Menschenabkömmlinge in eine Art Stasis versetzt. Mit der Zeit
hatten die Körper von Ultimas Art sich auf die Hitze und
Trockenheit spezialisiert, vereinfacht und einen höheren
Wirkungsgrad entwickelt. Nachdem die entscheidende Verknüpfung
erst einmal hergestellt war, hatten Baum und Leute sich so gut
aneinander angepasst, dass keine Seite mehr imstande war, diese
Verbindung kurzfristig zu lösen.
Seit die schlangenartigen Schnüre sich in den Bauch der
Menschenabkömmlinge gesenkt hatten und seit die Leute sich
erstmals in den Schutz der Borametz-Blätter geflüchtet
hatten, waren zweihundert Millionen Jahre vergangen, von denen kein
Chronist kündete.
Doch selbst jetzt, nach dieser langen Zeit, waren die
symbiotischen Bindungen noch schwach im Vergleich zu älteren
Kräften.
Auf seine gemächliche pflanzliche Art war der Baum zu
dem Schluss gelangt, dass die Leute sich im Moment kein Baby mehr zu
leisten vermochten. Ultimas Kind wurde wieder absorbiert und seine
Substanz in den Baum zurückgeführt.
Das war eine
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