Evolution
Norden und stieß mit Australien
zusammen, worauf diese neue Formation sich ins östliche Eurasien
hineinschob. So wurde der neue Superkontinent geboren. Im Innern,
weit von der mäßigenden Wirkung der Meere entfernt,
stellten sich extreme Bedingungen ein – höllisch
heiße und trockene Sommer und mörderisch kalte Winter.
Alle Bewegungshindernisse waren abgebaut worden. Es fiel der
Startschuss für alle Pflanzen und Tiere, sich in alle Richtungen
auszubreiten. Das war eine Parallele zur großen globalen
Vermischung, die die Menschen während ihrer ein paar tausend
Jahre währenden Herrschaft über den Planeten erzwungen
hatten – und wie damals war eine vereinte Welt zugleich auch
eine verarmte Welt. Es war in schneller Folge zum Massensterben
gekommen.
Und im Zeitablauf wurde es immer schlimmer.
Beim neuen Superkontinent setzte sofort die Alterung ein. Die
tektonischen Kollisionen hatten neue Gebirge aufgefaltet, und
während sie wieder erodierten, reicherte der Schutt die Ebenen
mit chemischen Nährstoffen wie Phosphor an. Jedoch fanden keine
neuen Gebirgsentstehungs-Ereignisse mehr statt, keine neue
Auffaltungen. Die letzten Berge wurden abgetragen. In den Erdboden
einsickerndes Regenwasser und Grundwasser wuschen die letzten
Nährstoffe aus, und als die weg waren, entstanden keine neuen
mehr.
Neuer roter Sandstein wurde gebildet: rostrot, so rot wie die
leblosen Wüsten des Mars einst gewesen waren – die Signatur
der Leblosigkeit, von Erosion und Wind, von Hitze und Kälte. Der
Superkontinent wurde zu einer weiten roten Ebene, die sich über
Tausende von Kilometern erstreckte und nur von den verwitterten
Stümpfen der letzten Berge aufgelockert wurde.
Gleichzeitig wurden durch den sinkenden Meeresspiegel die flachen
Kontinentalschelfe freigelegt. Während sie austrockneten,
verwitterten sie auch schon und entzogen der Luft Sauerstoff. Auf dem
Land starben viele Tiere den Erstickungstod. Und als in den
Weltmeeren der vom Pol zum Äquator verlaufende
Temperatur-Gradient abflachte, wurden auch die Meeresströmungen
abgewürgt. Das Wasser stand ab.
Zu Land und zu Wasser starben die Spezies aus wie Laub, das im
Herbst von den Bäumen fiel.
In einer austrocknenden Welt waren die alten Stratageme der
Konkurrenz und der Antagonismus Räuber-Beute nicht mehr
brauchbar. Die Welt hatte nicht mehr die Energie, komplexe
Nahrungsketten und -pyramiden aufrechtzuerhalten.
Stattdessen hatte das Leben auf ältere Strategien
zurückgegriffen.
Das Teilen war so alt wie das Leben selbst. Sogar die Zellen von
Ultimas Körper waren das Ergebnis von Zusammenschlüssen
primitiverer Formen. Die ältesten Bakterien waren einfache
Lebewesen gewesen, die vom Schwefel und der Wärme der
höllischen frühen Erde lebten. Für sie war das
Erscheinen von Cyanobakterien – den ersten
Photosynthese-Treibenden, die Kohlendioxid mit Hilfe von Sonnenlicht
in Kohlenhydrate und Sauerstoff umwandelten – eine Katastrophe,
denn reaktionsfreudiger Sauerstoff war für sie ein
tödliches Gift.
Die Überlebenden siegten durch Kooperation. Ein
Schwefel-Fresser verschmolz mit einer anderen primitiven Lebensform,
einem frei lebenden Schwimmer. Später wurde ein Sauerstoff
atmendes Bakterium in den Verband integriert. Die dreiteilige
Entität – Schwimmer, Schwefel-Liebhaber und
Sauerstoff-Atmer – erlangten die Fähigkeit der Reproduktion
durch Zellteilung und vermochten Nahrungspartikel einzulagern. In
einer vierten Absorption lagerten ein paar wachsende Komplexe
grüne Photosynthese-Bakterien ein. Das Ergebnis waren
schwimmende grüne Algen, die Vorfahren aller Pflanzenzellen.
Im Verlauf der Evolution war oft geteilt worden, sogar genetisches
Material. Selbst die Menschen und ihre Abkömmlinge, bis hin zu
Ultima, waren wie Kolonien aus kooperativen Wesen, von den
hilfreichen Bakterien im Magen-Darm-Trakt, die Nahrung verwerteten
bis zu den vor Äonen integrierten Mitochondrien, den
›Kraftwerken‹ der Zellen.
Und daran hatte sich bis jetzt auch nichts geändert. Joan
Usebs Intuition hatte sie nicht getrogen: Auf die eine oder andere
Art hatte die Zukunft der Menschen in der Kooperation gelegen,
miteinander und mit den Lebewesen um sie herum. Doch diesen finalen
Ausdruck der Kooperation hätte nicht einmal sie vorherzusehen
vermocht.
Der Baum, ein entfernter Spross des Borametz aus
Erinnerungs Zeit, hatte die Prinzipien der Kooperation und des
Teilens quasi auf die Spitze getrieben. Nun vermochte der Baum nicht mehr ohne die Termiten
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