Evolution
Euoplo-Kuh schließlich allein war.
Durch eine Laune des Schicksals hatte sie sich aber noch einmal
gepaart und war nun schwer mit Eiern beladen.
In dieser neuen Welt, einem Land aus Eis und Schwärze, das
von einem grau-schwarzen Himmel bedeckt wurde, hatte sie die alten
Brutplätze nicht mehr wieder gefunden. Also hatte sie aus den
verbrannten Pflanzenresten, die den Boden eines einst dichten Waldes
übersäten, nach besten Kräften ein Nest gebaut. Sie
hatte mit einem Trompeten die Eier abgelegt und in einer akkuraten
Spirale auf dem Boden angeordnet. Euoplos waren keine
fürsorglichen Mütter; diese Sechs-Tonnen-Kolosse
hätten den Nachwuchs mit ihrer Zuneigung buchstäblich
erdrückt. Aber das Euoplo war immerhin in der Nähe des
Nests geblieben und hatte es vor Räubern geschützt.
Vielleicht wären die Eier trotz der Kälte
ausgebrütet worden, und vielleicht hätten ein paar Junge
die große Kälte überstanden. Von allen Dinosauriern
war es nämlich der Ankylosaurier, der in der neuen,
härteren Welt die besten Überlebenschancen gehabt
hätte.
Aber der Regen hatte die Nährstoffe weggeschwemmt, die der
Körper des Euoplos zur Produktion gesunder Eier gebraucht
hätte. Ein paar Eier hatten so dicke Schalen, dass die Jungen
sie nicht zu durchbrechen vermochten, und andere waren so
dünnwandig, dass sie schon bei der Ablage zerbrachen. Und der
Regen beschädigte die Eier zusätzlich: Im Säurebad
verloren sie den schützenden Überzug.
Kein Ei war ausgebrütet worden. Das traurige und auf der
zellulären Ebene verwirrte Euoplo war von dannen gezogen. Sie
war kaum verschwunden, als auch schon eine pelzige Wolke
räuberischer Säugetiere sich über die Eier hermachte
und das Nest in ein schlammiges Schlachtfeld verwandelte.
Das Euoplo, das Letzte seiner Art, wanderte von einem finalen
Imperativ getrieben übers Land: überleben. Aber das Gift
und der Regen setzten auch ihm zu. Lebewesen wie Purga suchten in
Bauten oder unter Steinen Schutz vorm Regen – und wenn es sein
musste, auch unter einem leeren Schildkrötenpanzer. Das Euoplo
war jedoch zu groß, um irgendwo Unterschlupf zu finden, und
einzugraben vermochte es sich auch nicht. Der Rücken war
entsetzlich verbrüht, von den großen Knochenplatten
löste sich das Fleisch, und die Faserstränge brannten wie
Feuer.
Blindlings wankte es dem Meer entgegen.
Ein Vierteljahr nach dem Einschlag stolperten Purga und Letztes
über einen steinhart gefrorenen Boden.
Sie begegneten nur wenigen Tieren: Manchmal beobachtete ein
vorsichtiger Frosch ihren Vorbeimarsch, oder ein Vogel flog bei ihrer
Annäherung auf. Sein Zwitschern zerriss die Stille, und er
ließ ein Stück gefrorenes Aas am Boden zurück. Die
Überreste der üppigen Kreidezeit-Vegetation, die
Baumstümpfe und das vereinzelte Unterholz waren zu harten
schwarzen Skulpturen gefroren. Beim Versuch, sie anzunagen, sprangen
höchstens ein Mundvoll Eis oder ein abgebrochener Zahn
heraus.
Sie waren nur noch zu zweit. Dritter war an Hunger und Kälte
gestorben.
Purga sehnte sich in ihrem Sicherheitsbedürfnis danach, auf
einen Baum zu klettern oder sich in die weiche Erde einzugraben. Aber
es gab keine Bäume mehr, nichts als Asche, Baumstümpfe und
Wurzelreste, und der Boden war zu hart zum Eingraben. Wenn sie sich
ausruhen mussten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als im losen
Schutt Nester aus Asche, verbranntem Laub und Holzresten zu bauen.
Dort lagen sie dann bibbernd und kuschelten sich aneinander, um sich
gegenseitig zu wärmen.
Nach einer tagelangen Wanderschaft erreichten Purga und Letztes
die Küste des amerikanischen Binnenmeers.
Der grobkörnige Strand war gefroren, und auf dem Meer, das
schwarz-grau war wie der Himmel darüber – drifteten
Eisschollen. Aber die sanfte Brise trug noch immer Salzgeruch
über den Sand. Und hier, an der Meeresküste fanden die
Primaten Nahrung – Seetang, Krustentiere und sogar gestrandete
Fische.
Auch die Meere waren durch den Einschlag verwüstet worden.
Der Verlust des Sonnenlichts und der saure Regen hatten das
photosynthetische Plankton vernichtet, das in den oberen Schichten
des Meeres vorgekommen war. Nachdem der Ursprung der Nahrungskette
verschwunden war, starben die Arten wie fallende Dominosteine. Auf
der geschundenen Erde ging der Tod um, und im Wasser des mit
Eisschollen bedeckten, verdunkelten Meers spielten sich Dramen ab,
die genauso schrecklich waren wie die Tragödien, die an Land
stattfanden. Es sollte eine Million Jahre dauern,
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