Evolution
bis die Meere sich
wieder erholt hatten.
Purga stieß auf einen gestrandeten Seestern. Sie hatte noch
nie am Meer gejagt und ein solches Geschöpf nie zuvor gesehen.
Sie stupste es mit der Schnauze an und versuchte es in eine ihrer
Kategorien einzuordnen: gefährlich oder essbar.
Ihre Bewegungen waren schwach, und sie sah den Seestern auch nur
verschwommen.
Purga wurde immer schwächer. Sie war ständig durstig und
litt an chronischen Schmerzen, die Mund und Rachen erfüllten und
bis in den Magen ausstrahlten. Seit dem Einschlag hatte sie stetig
Gewicht verloren. Dabei war sie immer schon ein schmächtiges
Wesen gewesen, das nicht viel zum Zusetzen hatte. Und sie war ein
Geschöpf der Tropen, das es plötzlich in eine arktische
Umgebung verschlagen hatte. Das Fell speicherte zwar die Wärme,
aber der lange, schlanke Körper hatte eben nicht die kompakte
Kugelform der an die Kälte angepassten Lebewesen. Deshalb
verbrannte sie durch das Zittern noch mehr Energie und
Körpermasse.
Sie war abgemagert, geschwächt und kam nicht mehr zu
Kräften. Das Bewusstsein trübte sich zunehmend, und die
Instinkte versagten.
Und sie wurde alt. Die wichtigste Überlebensstrategie der als
›Ungeziefer‹ lebenden Säugetiere hatte in der
schnellen Vermehrung bestanden. Ihre Zahl war immer so groß
gewesen, dass die Dinosaurier sie auf ihren Jagdzügen nicht
auszurotten vermochten. Solche Geschöpfe hatten nichts von einem
langen Leben. Purga näherte sich bereits dem Ende ihres kurzen,
intensiven Lebens.
Letztes litt natürlich auch. Aber es war jünger und
hatte mehr Kraftreserven. Purga spürte eine wachsende Kluft
zwischen ihnen. Das war aber keine Frage mangelnder Loyalität.
Es war die Logik des Überlebens. Purga spürte im tiefsten
Innern, dass der Tag kommen würde, wo ihre Tochter sie nicht
mehr als Jagdgefährtin betrachtete und nicht einmal als
Behinderung, sondern als Beute. Nach allem, was sie überstanden
hatte, wären Purgas letzte Erinnerungen vielleicht, dass die
eigene Tochter ihr die Zähne an die Kehle setzte.
Doch nun rochen sie Fleisch. Und sie sahen weitere
Überlebende, noch mehr rattenähnliche Säugetiere
über den Strand huschen. Da gab es etwas zu fressen. Purga und
Letztes liefen hinterher.
Schließlich wankte das Euoplo, dessen Bewusstsein wie eine
defekte Glühlampe flackerte, an die Küste des Meeres.
Es schaute verständnislos nach unten. Wasser umspülte
die Füße, und schwere Regentropfen prasselten hernieder.
Der Sand war von Ruß und vulkanischem Staub geschwärzt und
mit den Knochen winziger Kreaturen übersät. Sie machte die
silbrigen Kadaver von Fischen aus, denen Vögel die Augen
ausgepickt hatten. Aber das Euoplo verspürte nur Müdigkeit,
Hunger, Durst, Einsamkeit und Schmerz.
Es hob den Kopf. Die Sonne ging im Südwesten als eine
blutrote Scheibe unter und würde bald hinter einem
kohlrabenschwarzen Horizont versinken.
Das Euoplo verharrte bewegungslos an der Wasserlinie. Es war einer
der letzten großen Dinosaurier, die auf der ganzen Erde
überlebt hatten. Es mutete an wie ein Denkmal für seine
untergehende Art. Kopf und Schwanz wogen schwer unter dem massiven
Panzer, und das Euoplo ließ sie sinken. Es starb, ohne auch nur
ein einziges lebensfähiges Junges in die Welt gesetzt zu haben.
Ein Gefühl der Verlorenheit und Trauer erfüllte das kleine
Bewusstsein des Euoplos.
Plötzlich verspürte es ein scharfes Zwicken an der
weichen Unterseite des Fußes.
Es war ein therisches Säugetier: auch nicht schöner als
Purga, aber schon mit Zähnen ausgestattet, die schnitten –
wie eines Tages die Zähne eines Löwen schneiden
würden. Es war vorgestürmt und hatte den Saurier mit
unglaublicher Verwegenheit gebissen. Das Euoplo trompetete
erzürnt und hob in einer Kraftanstrengung einen mächtigen
Fuß. Als es ins Wasser stampfte, platschte es aber nur; das
flinke Säugetier war längst weggeflitzt.
Aber es scharten sich immer mehr Überlebende um das
Euoplo.
Diese Tiere waren alle klein. Purga und Letztes waren hier, und
andere Säugetiere, die in den unterirdischen Bauten
überlebt und sich während des langen Winters durch die
konstante Körpertemperatur gewärmt hatten. Es gab auch
Vögel, die durch das warme Blut und die geringe Größe
ein Ereignis überlebt hatten, das ihren größeren
Verwandten den Garaus gemacht hatte. Außerdem gab es Insekten,
Schnecken, Frösche, Salamander und Schlangen – Lebewesen,
die in Bauten, Sandbänken und tiefen Löchern
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