Evolution
Brise und den Rufen der
Vögel, den farbenprächtigen Verwandten der verschwundenen
Dinosaurier.
Es war ein Welten-Wald. Und er gehörte den Säugetieren
– einschließlich Primaten wie Plesi.
Sie schaute den Ast zurück. Da waren ihre beiden Jungen, die
sie als Stark und Schwach einordnete. Sie waren etwa halb so
groß wie Plesi und klammerten sich an den Übergang
zwischen Baum und Ast. Selbst jetzt schubste Stark Schwach unmerklich
zur Seite. Bei manchen Spezies hätte man das kümmerliche
Schwache vielleicht sterben lassen. Plesis Art bekam aber nur wenige
Junge, und in einer unsicheren und gefährlichen Welt mussten
alle fürsorglich behandelt werden.
Jedoch vermochte Plesi ihre Jungen nicht für immer zu
beschützen. Sie waren beide schon entwöhnt. Sie hatten wohl
schon gelernt, sich von den Früchten und Insekten zu
ernähren, die diesen ihren Geburtsbaum bevölkerten, aber
das genügte nicht – sie mussten in den Wald
ausschwärmen und Nahrung suchen.
Und dazu mussten sie springen lernen.
Plesi kratzte an der schorfigen Rinde des Asts, spannte den
Körper an und sprang.
Plesi war ein Plesiadapide und gehörte einer Spezies an, die
eines Tages als Carpolestide bezeichnet werden würde. Plesi
hatte große Ähnlichkeit mit ihrer Urahnin, Purga. Wie
Purga hatte sie das Erscheinungsbild eines kleinen
Eichhörnchens, mit einem schlanken Körper wie eine Ratte
und einem buschigen Schwanz. Obwohl sie schon ein echter Primat war,
hatte Plesi noch Purgas Krallen statt Fingernägeln, die Augen
waren noch nicht nach vorn gerichtet und das Gehirn hatte sich auch
kaum weiterentwickelt. Sie hatte auch noch die großen
Nachtsicht-Augen, die Purga in der Zeit der Dinosaurier so gut
gedient hatten.
Die signifikanteste Entwicklung des Primaten-Körpers seit
Purgas Zeiten betraf die Zähne; Plesi gehörte einer auf
Hülsenfrüchte spezialisierten Spezies an, aus der viel
später die australischen Possums hervorgehen sollten. Das war
ein notwendiger Schritt, ohne den die Primaten nichts zu beißen
gehabt hätten. Die wenigsten Tiere dieser Zeit ernährten
sich von Blättern. In einer einheitlichen Welt, wo die
tropischen und subtropischen Wälder sich weit zu beiden Seiten
des Äquators ausbreiteten, gab es kaum eine jahreszeitliche
Abwechslung. Hier in Texas verloren die Bäume auch nicht
regelmäßig ihr Laub. Außerdem deponierten die
Bäume Giftstoffe und Chemikalien im Laub, sodass die
Blätter für neugierige Säugetierzungen bitter
schmeckten oder ganz ungenießbar waren.
Insgesamt hatte die Primaten-Linie seit Purga wenig Innovation
erfahren, obwohl bereits zwei Millionen Jahre vergangen waren. Das
gleiche galt für andere Abstammungs-Linien. Noch lang nach dem
großen Einschlag hatte es den Anschein, dass die geleerte Welt
vom Schock wie gelähmt war.
Plesi landete ohne Schwierigkeiten auf dem Ziel-Ast.
Die beiden Jungen schmiegten sich noch immer zögernd an den
Baumstamm und stießen ein klägliches Baby-Wimmern aus.
Obwohl die Rufe ihr ans Herz gingen, hob Plesi nur den Kopf und
zuckte mit der Schnauze. Sie versuchte die Jungen zu locken, indem
sie die Früchte anknabberte, mit denen dieser neue Baum
reichlich versehen war.
Schließlich reagierten die Jungen. Zu Plesis Erstaunen war
es das Kleine, Schwach, das zuerst kam. Es krabbelte unsicher und
zögerlich zum Ende des Asts, hielt aber gut das Gleichgewicht.
Nun hob es den Schwanz und spannte die Muskeln an – und zog sich
im nächsten Moment unschlüssig zurück und putzte sich
erst einmal das Gesichtsfell. Dann sprang es aber doch.
Das Junge war etwas zu weit gesprungen. Taumelnd fiel es herab und
prallte gegen seine Mutter. Plesi zischte ärgerlich. Aber sie
hielt sich mit den beweglichen Händen und Füßen an
der Rinde fest und sicherte sich. Zitternd schlich Schwach zu seiner
Mutter, vergrub das Gesicht in ihrem Bauchfell und suchte nach einer
Zitze, die aber schon trocken war. Plesi ließ das Junge saugen
und belohnte es damit für seinen Mut.
Und dann sah sie eine schemenhafte Bewegung vom anderen Baum. Das
zurückgebliebene Stark machte plötzlich einen Satz und
rutschte dabei mit den Füßchen auf der Rinde aus. Und dann
sprang es in die Luft, ohne das Ziel richtig anzupeilen und ohne
mithilfe der angeborenen Fähigkeit die Entfernung zu
schätzen.
Angst keimte in Plesi auf.
Stark erreichte den Ast, kam aber zu hart auf und rutschte sofort
wieder ab. Für einen Moment hing das Junge da, kratzte mit den
kleinen Händen nutzlos an der
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