Evolution
ihre
Kreise beschrieb, stolperten Noth und Rechts durch die Äste des
Waldes.
Sie waren schon seit einer Woche auf sich gestellt. Sie hatten
keinen von ihrer Art gefunden. Aber es gab hier in den Baumwipfeln
viele Adapiden, Verwandte des Notharctus. Viele waren kleiner als
Noth. Manchmal sah er kurz ihre glühenden Augen, die wie
unheimliche gelbe Lichter aus einem dunklen Winkel lugten. Ein paar
huschten die Äste entlang, von einer schattigen Deckung zu
nächsten. Ein Geschöpf vollführte jedoch
spektakuläre aufrechte Sprünge von Baum zu Baum. Es
ließ die Hinterbeine baumeln und packte mit den Pfoten zu. Die
membranartigen Ohren drehten sich wie bei einer Fledermaus,
während es mitten im Flug ein Insekt aus der Luft
pflückte.
Eine einsame Kreatur klammerte sich an die verrottete Rinde eines
alten Baums. Sie hatte ein struppiges schwarzes Fell,
fledermausartige Ohren und vorstehende Schneidezähne. Mit einem
krallenbesetzten Finger klopfte es geduldig ans Holz und schwenkte
dabei die großen Ohren. Wenn es die Bewegung einer Larve unter
der Rinde hörte, schälte es die Rinde mit den Zähnen
ab, spießte die Larve mit dem langen Mittelfinger auf und
steckte sie sich in den großen, gierigen Mund. Dieser Primate
hatte gelernt, wie ein Vogel, wie ein Specht zu leben.
Einmal traf Noth auf eine riesige, faultierartige Kreatur, die
kopfüber an einem dicken Ast hing und mit den
Primatenhänden das Holz umklammerte. Das Ungeheuer drehte den
Kopf und musterte Noth und Rechts mit leerem Blick. Es hatte den Mund
voll saftiger Blätter, von denen es sich hauptsächlich
ernährte und kaute gemächlich. Diese Art hatte sich
›vergrößern‹ müssen, weil sie einen Magen
unterbringen musste, der groß genug war, um die Zellulose in
den Zellwänden des Laubs aufzubrechen. Das Gesicht des
faultierartigen Wesens war seltsam unbeweglich, statisch und mit
begrenzter Ausdrucksfähigkeit. Das soziale Leben dieser
träge herumhängenden Kreatur war öde; der langsame
Stoffwechsel und der Mangel an frei verfügbarer Energie
ließen ihm keine andere Wahl.
Die Welt hatte sich seit dem schrecklichen Einschlag stetig
erwärmt. Die Vegetation hatte sich in Wellen vom Äquator
ausgebreitet, bis tropische Regenwälder schließlich ganz
Afrika und Südamerika, Nordamerika bis zur heutigen kanadischen
Grenze, China, Europa bis nach Frankreich und den Großteil
Australiens bedeckten. Sogar an den Polen gab es Dschungel.
Nordamerika war noch immer durch mächtige Landbrücken
mit Europa und Asien verbunden, während die südlichen
Kontinente wie eine Inselkette unterhalb des Äquators aufgereiht
waren. Indien und Afrika verschoben sich beide nach Norden, doch das
Tethys-Meer umspannte noch immer den Äquator. Die mächtige
Strömung transportierte Wärme um den ganzen Planeten. Der
Tethys war wie ein Fluss durch den Garten Eden.
Im Zuge der Erderwärmung hatten die Kinder von Plesi und den
anderen Säugetieren die Vergangenheit schließlich
abgeschüttelt. Es war, als ob die Erdbewohner endlich erkannt
hätten, dass der leere Planet ihnen viel mehr zu bieten hatte
als neue Pflanzen, an denen sie sich gütlich zu tun
vermochten.
Während die überlebenden Reptilien, die Eidechsen,
Krokodile und Schildkröten weitgehend unverändert blieben,
sollten bald die Grundlagen für die erfolgreichen
Säugetier-Linien der Zukunft gelegt werden.
Plesi war wie Purga ein kurzbeiniges ›Kriechtier‹ mit
für Säugetiere typischen vier Füßen und dem
gesenkten Kopf gewesen. Ihre Primaten-Nachkommen wurden nun
größer und bildeten kräftigere Hinterbeine aus, um
einen aufrechten Rumpf und Kopf zu stützen. Inzwischen waren
auch die Augen der Primaten nach vorn gerückt. Das
ermöglichte ihnen das räumliche Sehen und verlieh ihnen die
Fähigkeit, die immer weiteren Sprünge abzuschätzen und
die Insekten und kleinen Reptilien anzupeilen, die noch immer auf
ihrem Speiseplan standen. In dem Maß, wie die Primaten ihre
Lebensweise differenzierten, prägten sie unterschiedliche Formen
aus.
Dahinter stand jedoch kein Plan, und zielgerichtete Verbesserungen
fanden auch nicht statt. Jeder Organismus kämpfte nur darum,
sich selbst, seine Nachkommen und seine Art zu erhalten. Doch
während die Umwelt sich allmählich veränderte,
veränderten durch die unerbittliche Selektion sich auch die
Spezies, die sie bewohnten. Es war kein Vorgang, der vom Leben
gespeist wurde, sondern vom Tod: die Eliminierung der weniger gut
Angepassten, das endlose Aussondern
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