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Evolution

Evolution

Titel: Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
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Milch zu produzieren. Einem Weibchen, das
sich außerhalb der Paarungszeit paarte, wäre es kaum
vergönnt zu erleben, wie sein Nachwuchs den Eintritt ins
Erwachsenenalter erlebte. Und ein Männchen, das die Gelegenheit
verpasste, sich mit einem fruchtbaren Weibchen zu paaren, würde
ein ganzes Jahr der Entbehrungen, Gefahren und des Mangels aushalten
müssen, ehe es eine neue Chance bekam.
    Für die Notharctus dauerte die Paarungszeit gerade einmal achtundvierzig Stunden. Und in dieser kurzen Zeit ging der
Punk ab.
    An diesen beiden Tagen, beim gleichzeitigen Eisprung aller
Weibchen, war die Luft mit einer Pheromonwolke geschwängert und
überall wimmelte es von Männchen, die einem schier
unwiderstehlichen Drang folgten. Erektionen stachen aus dem Fell. Die
Männchen hatten sich seit der Rückkehr der Sonne auf diesen
Moment vorbereitet. Sie hatten ordentlich gefressen, um sich zu
stärken, hatten spektakuläre Sprünge vollführt
und Scheinkämpfe geführt – wie Athleten, die sich auf
ein Turnier vorbereiteten. Der Kaiser vermochte sie sich
unmöglich alle vom Leib zu halten, und die Konkurrenz wurde
immer stärker. Heute stand die Hierarchie der Männchen auf
der Kippe.
    Der Stress für die Weibchen würde später kommen,
bei der Schwangerschaft, wenn die schnell wachsenden Föten, und
beim Stillen, wenn die Neugeborenen es der Mutter permanent
abverlangten, energiereiche Nahrung zu suchen – und das zu einer
Zeit, wo fast jedes ausgewachsene Weibchen stillte. Es war der hohe
Preis der Reproduktion, der zur generellen Dominanz der Weibchen
über die Männchen geführt hatte, und das war auch der
Grund, weshalb die Weibchen immer das beste Futter bekamen.
    Im ganzen Wald war es das Gleiche. Bei den Notharctus-Sippen fand
die Paarungszeit gleichzeitig statt, wobei der Zeitpunkt von den
chemischen Düften bestimmt wurde, die die Luft kilometerweit
durchzogen. An den beiden Tagen war der Wald eine einzige Orgie,
erfüllt vom Kreischen kämpfender Männchen, mit
pheromongeladenen Weibchen und von heftigem Rammeln.
    Noth verfolgte ein anderes junges Männchen, das er sich als
Rivale vorstellte, und schnellte sich durch ein lichtes
Koniferenwäldchen. Mit einem Arm schwang er an den dürren
Ästen. Bei jedem Abschwung kam die Erde wie eine riesige
Schüssel auf ihn zu, und totes Laub, frischer grüner Farn
und die unansehnlichen Gestalten schnüffelnder Bodenbewohner
stoben unter ihm davon.
    Sein Kopf war vom Östrogengeruch benebelt. Er hatte schon
eine Erektion, seit er heute Morgen aufgewacht war. Auch jetzt,
während er sich von Baum zu Baum schwang, stach der Penis rosig
und steif hervor. Er musste sich erst noch durch die dicht
gedrängten Männchen kämpfen, um zu einem
empfängnisbereiten Weibchen zu gelangen, und er hatte das
Gefühl, dass ihm der Bauch platzen würde, wenn er nicht
bald Erfolg hatte. Obwohl er sich vor Lust schier verzehrte, genoss
er es, sich mit dem geschmeidigen Körper kraftvoll durch den
Wald zu schwingen, an den er so gut angepasst war.
    Nie zuvor hatte Noth sich so lebendig gefühlt.
    Noth landete punktgenau auf dem Baum des Rivalen und packte die
Äste mit exakt koordinierten Händen und Füßen.
Doch sofort fiel Rivale über ihn her.
    Sie standen sich aufrecht gegenüber. Die Penisse wiesen wie
Spieße aufeinander. Noth ging mit aufgestelltem Schwanz auf den
Rivalen zu, wobei er keckernd und belfernd die Genitalien an der
Baumrinde rieb. Rivale erwiderte die Gesten. Das war ein
ritualisiertes Aufeinandertreffen, bei dem jeder in einer Art Tanz
auf die Bewegungen des jeweils anderen reagierte: Die
›Choreographie‹ umfasste Schwanz aufstellen, Genitalien
reiben, Arme ausbreiten und sich mit Blicken töten.
    Bald war die Luft von ihrem Gestank erfüllt. Sie kamen sich
so nahe, dass Noth die Spitzen des gesträubten Fells des anderen
spürte. Sein Gesicht wurde vom Speichel des Rivalen benetzt.
    Rivale war etwa im gleichen Alter wie Noth und hatte die gleiche
Größe. Er hatte sich der Sippe etwas früher als Noth
und seine Schwester angeschlossen. Für ihn war Noth ein
Eindringling in eine Sippe gewesen, die er schon als
›seine‹ betrachtete. Noth und Rivale waren sich – wie
Brüder – zu ähnlich und zu nah, um etwas anderes zu
sein als Rivalen.
    Rivale war geringfügig größer und schwerer als
Noth, weil er bei der Nahrungssuche im Frühling erfolgreicher
gewesen war. Doch Noth hatte in diesem schwierigen Jahr eine innere
Kraft entwickelt und hielt ihm stand.
    Schließlich

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