Ewig Böse
geblutet hat.«
»Ich bitte dich«, schnappte sie. »Wie kannst du nur denken … Nein! Weißt du was? Du kannst mich mal, James.«
Sie rammte den Gang hinein, und wir schleuderten mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Auf dem Nachhauseweg sprachen wir kein Wort. Ich sagte mir, dass sie krank war. Geistig oder physisch oder beides. Sie hatte sich den Kopf angeschlagen, und irgendetwas war passiert. Sie hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. Sie fuhr derartig waghalsig, dass ich befürchtete, wir würden im Graben landen, wenn ich noch ein Wort sagte.
In der Garage starrte ich das Fahrrad an. Annette stellte den Motor ab, stieg aber nicht aus.
»James?«, sagte sie weich.
Ich ignorierte sie.
»James?«
»Was denn?« Ich schrie fast.
»Ich habe ihn nicht geschlagen.« Sie wirkte müde, als täte es ihr leid, Probleme verursacht zu haben.
Ich wartete und starrte ihr in die flachen, undurchdringlichen Augen. Das grüne war tot, das blaue lebendig. Eines stärker als das andere.
»Kinder verletzen sich ständig«, meinte sie. »Jeden Tag. Jeden Tag sterben Menschen.«
»Was soll denn das heißen?«
»Was es heißt? Was, wenn er mich nicht über den Haufen gerannt hätte? Wenn er vor ein Auto gelaufen wäre? In einen Graben gestürzt und auf eine zerbrochene Flasche gefallen wäre?« Sie wurde immer lauter. »Was, wenn er mit einem Messer gespielt und seinen Bruder in den Hals gestochen hätte? Wenn er die Pistole gefunden und sich seinen blöden Schädel weggeblasen hätte! «
»Du bist krank«, sagte ich. »Du brauchst Hilfe …«
»Er hätte tot sein können!«, schrie Annette. Sie lief im ganzen Gesicht rot an, und die Adern an ihrer Stirn traten hervor. »Er hätte tot sein können! Tot! Verstehst du? Verstehst du? «
Ich konnte sie nur wortlos anglotzen, und das war schwierig, an der Grenze des Unerträglichen.
Sie stieg aus, knallte die Tür zu und ging ins Haus.
Ich blieb noch eine Weile sitzen und starrte das BMX -Rad an.
24
Im Erdgeschoss war sie nicht. Ich wartete ein paar Minuten, wischte mit einem Schwamm angelegentlich über die Arbeitsplatte in der Küche und summte nervös vor mich hin. Ständig sah ich das Gesicht des Jungen vor mir. Wenn ich ihn nicht aufgerichtet hätte, wäre er an seinem eigenen Blut erstickt. Und ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass sie ihn sterben lassen wollte. Sie hatte ihn in Lebensgefahr gebracht.
Inwieweit konnte man mich verantwortlich machen? Der Laden hatte meine Kreditkartendaten. Die Polizei konnte meine Adresse ausfindig machen, aber nicht mich. Sie wusste ja nicht, dass ich hier war. Außer, dingdong, aufwachen, du Trottel – du lässt dir die Möbel frei Haus liefern. Vielleicht war die Polizei bereits unterwegs. Ich hoffte es fast.
Und ich hatte mich schuldig gemacht, indem ich zusah, während Annette für andere zur Gefahr wurde. Dies war mir eine Warnung. Ich musste sie stoppen. Ich musste ihr begreiflich machen, dass ihr aggressives … ihre Attacke, ja, es war eine Attacke gewesen … unverantwortlich gewesen war. Ich durfte nicht zulassen, dass so etwas noch einmal vorkam. Und wenn sie nicht sofort zustimmte, einen Therapeuten aufzusuchen, würde ich sie verlassen. Heute Nacht. Ganz einfach.
Ich ging die Treppe hinauf. Das Schlafzimmer war abgesperrt.
Ich klopfte. »Annette, mach die Tür auf.«
Schweigen.
»Annette, wir müssen reden. Früher oder später wird die Polizei kommen. Ich werde mit ihnen sprechen. Ich werde ihnen sagen, was passiert ist. Hörst du? Du musst dich dieser Sache stellen.«
Falls sie sich bewegte, dann lautlos.
»Ich komme in fünfzehn Minuten wieder«, sagte ich zur Tür. »Dann reden wir. Andernfalls bin ich weg.«
Ich ging nach unten, stand in der Küche herum und kaute auf den Nägeln. Ich trank ein Bier, dann ein zweites. Weg? Wo willst du denn hin? Ich ging ins Wohnzimmer, schloss den Blu-ray Player an und sah mir etwas an, in dem Feuer die Hauptrolle spielte.
Als der Film zu Ende war, starrte ich zögernd in den Nachspann. In mir schwappten sechs oder sieben Biere herum, aber ich fühlte mich nüchtern. Der Tag hatte aufgegeben. Die Nacht war da, und es gab kein Entrinnen. Ich war zu angetrunken, um mich ans Steuer zu setzen. Vielleicht war morgen ein besserer Zeitpunkt, Annette zur Rede zu stellen. Es würde eine lange Nacht werden, eine von der Sorte, die ich auf der Couch zubrachte. Ich rappelte mich gerade hoch, um aufs Klo zu gehen, als es an der Tür klingelte. Es war eine
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