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Ewig Böse

Ewig Böse

Titel: Ewig Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ransom
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dem Unfall, in jener kalten Distanziertheit, die unsere Art des Streitens gewesen war. Sie hatte mehr und mehr Zeit außer Haus verbracht, selbst wenn ich zwischen zwei Gigs mal da war. Als ich sie zur Rede stellte und sagte, dass sie sich verändert hätte, leugnete sie und behauptete, lediglich ›emotional erschöpft‹ zu sein, als wären Gefühle ein endlicher Rohstoff. Was soll das heißen?, hatte ich sie gefragt. Ich hasste die Phrase. Es ist eine kindische Ausrede. Emotionale Erschöpfung ist das, was Prominente vorschützen, wenn sie zu bedröhnt sind, um auf der Bühne zu stehen. Ghost hatte den Spruch mit schöner Regelmäßigkeit verwendet, wenn er seine Auftritte nicht mehr packte oder die letzten Stationen einer Tournee absagte.
    »Du wunderst dich, warum ich nicht vor Freude herumhüpfe, wenn du heimkommst?«, hatte Stacey tonlos gefragt. Sie debattierte nicht einmal mehr. »Vielleicht hat es ja gar nichts mit dir zu tun. Glaubst du, mein ganzes Leben dreht sich nur um dich und Ghost?«
    »Was hat Ghost mit irgendwas zu tun?«, gab ich zurück. »Du bist nicht anwesend, selbst wenn du da bist. Ich weiß nie, wo du hingehst. Was erwartest du denn von mir?«
    »Lass mich zufrieden«, sagte sie wie eine schmollende Teenagerin, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden. »Glaubst du, du kriegst das hin?«
    »Nein. Ich liebe dich und will wissen, was zum Teufel eigentlich los ist.«
    Dann stand sie auf und ging einfach aus dem Haus, stieg in ihren Wagen und fuhr los. Zu ihren Freundinnen, zu einem neuen Freund (weniger wahrscheinlich, aber der Gedanke war mir gekommen), oder vielleicht einfach zu einem ihrer Yogakurse, wo sie sich unabhängig und spirituell fühlen konnte.
    Drei Tage später fand ich das mit den Pillen heraus. Ich suchte zufällig in ihrer Handtasche nach einem Feuerzeug, nicht etwa, dass ich ihr nachspionierte. Na schön. Ich spionierte ihr nach. Aber es war nur ihre Handtasche, nicht ihr Tagebuch oder Fort Knox, und ich war ihr Mann. Ich denke, wenn der Ehepartner sich zu einem Zombie in der Haut der Person entwickelt, die man geheiratet hat, dann werden Handtaschen, Geldbörsen, Einzelverbindungsnachweise, Hosentaschen und ja, auch E-Mails, zu Gemeinschaftseigentum. Ist das nicht der Grund, warum wir heiraten – um jemanden zu haben, der uns auffängt, wenn wir fallen?
    Annette schlief noch immer. Ich betrachtete ihre Brust und versuchte einzuschätzen, wie regelmäßig sie sich hob. War das ihre Art zu trauern? Ich glaubte nicht, dass Katatonie ein normales Symptom war, wenn man den Ehemann verlor. Nahm sie Drogen? Lag es an einer verdrehten Körperchemie à la bipolare Störung? Dissoziative Persönlichkeitsstörung? Tief sitzende Dämonen?
    Lass Annette nicht fallen. Lass nicht zu, dass sie wird wie Stacey.
    Und wenn es zu spät ist? Wenn sie bereits wie Stacey ist? Und was, wenn sie nicht nur ›wie‹ Stacey ist?
    An jenem Tag fand ich weder ein Feuerzeug noch ein Streichholzbriefchen in Staceys Handtasche. Dafür ein Fläschchen Tylenol PM , orangefarbene DayQuil-Kapseln, ein paar Valium, Percocet, Lamicta, Ambien, Xanax und ein paar andere, die nicht mal in Fläschchen abgefüllt waren, sondern im Bodensatz herumkullerten wie modernere, anregende Versionen von Tic Tacs. Zwei der Verschreibungen lauteten auf Staceys Namen. Eine auf Rowina Daniels, ihre kleptomanische Freundin. An den anderen Fläschchen waren die Etiketten abgekratzt.
    Leidet meine Frau unter Depressionen?, hatte ich mich gefragt.
    Und dann: Wie lange schon?
    Und weiter: Sieht so eine Depression aus, oder handelt es sich um etwas viel Schlimmeres? Gibt es schon eine Diagnose? Immerhin hatte ihr jemand zwei Rezepte ausgestellt. Aber was ist mit dem Rest? Glauben die Ärzte wirklich, dass zwei, drei, fünf verschiedene Sorten von Pillen die Lösung für unsere Probleme sind? Ich wusste, dass sie hin und wieder Ambien zum Einschlafen nahm. Wenn sie ernsthaft krank ist, warum dann die Geheimnistuerei?
    Und gottverdammt noch mal, was ist so schwer daran, seinem Mann zu sagen: ›Ich fühl mich nicht so toll und weiß nicht, warum. Hilfst du mir herauszufinden, was los ist?‹
    Vielleicht die Tatsache, dass er nie zu Hause ist, wenn du dich stark genug fühlst, ihn um Hilfe zu bitten. Wie wär’s damit?
    Ich sah hinab auf Annette, die blasse, zitternde Annette in ihrem Bett. Fühlte ich mich zu labilen Frauen hingezogen? Oder war es nur Zufall? Das halbe Land nimmt verschreibungspflichtige Pillen, tröstete ich mich. Es

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