Ewig sollst du bueßen

dem Wohnzimmer konnte sie schwach hören, wie Nick atmete. Sah man
einmal von der Entfernung ab, hörte es sich wie damals an, als sie noch
nebeneinander geschlafen hatten, ihre Körper eng aneinander geschmiegt. Sie
hatte solche Sehnsucht danach. Und es war so greifbar nahe.
    Sie starrte den Spalt in der Schlafzimmertür lange an. Warum?,
fragte sie sich. In dieser Stadt gab es so viele Männer, warum hatte sie sich
unbedingt in diesen verlieben müssen?

KAPITEL 29
    Jack fluchte, als ihn ein anderer Wagen schnitt. Diese
Fahrt erinnerte ihn wieder einmal daran, warum er immer die U-Bahn zur Arbeit
nahm. Es war noch nicht einmal acht Uhr und der morgendliche Berufsverkehr in
die Stadt war schon fürchterlich. Die 16th Street war praktisch ein einziger
Parkplatz. Anstatt einen angenehmen Spaziergang durch eine hübsche Gegend zu
machen und anschließend während der U-Bahn-Fahrt zehn Minuten in die Zeitung
schauen zu können, lieferte er sich Kämpfe mit Idioten, nur um seinen Volvo
zentimeterweise voranschieben zu können. Der Schnee von letzter Nacht half
dabei auch nicht gerade weiter – diese Stadt geriet beim Anblick des weißen
Zeugs in Panik. Diese Fahrt ließ in ihm allgemeinen Frust über die Welt
aufkommen. Aber heute Morgen fuhr er nicht direkt zur Arbeit und mit der U-Bahn
hätte er sein Ziel nicht erreicht. Er würde sich mit den verstopften Straßen
auseinandersetzen müssen.
    Er fühlte sich fürchterlich wegen des Zusammenstoßes mit Anna. Er
hätte sich nicht mit ihr streiten dürfen. Und schon gar nicht an dem Tag,
nachdem D’marco sie in ihrer eigenen Wohnung überfallen hatte. Als er später
noch einmal darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass sie kein Desaster
angerichtet hatte. Anna würde den Vaterschaftstest einfach zurückziehen. Jack
hatte McGee schon eingeschärft, mit keinem darüber zu sprechen. Green würde es
höchstwahrscheinlich niemals erfahren und das Ganze würde im Sande verlaufen.
Jack hätte ihr gegenüber nicht so explodieren dürfen.
    Er wusste, dass er bei keinem anderen seiner Anwälte so reagiert
hätte. Anwälte waren oft verschiedener Meinung, hatten unterschiedliche
Strategien – und Jack würde sie niemals anbrüllen. Menschen machten Fehler –
und er hatte niemals zuvor jemanden auf die Bank geschickt. Jack war stolz auf
seine Ruhe, die er während Krisen an den Tag legte, auf seine Fähigkeit, jeder
Situation mit ruhiger, konzentrierter Präzision zu begegnen. Er hatte nicht
verstanden, warum es dieses Mal anders gewesen war. Wenigstens nicht bei Ben’s,
als es passierte. Doch nun tat er es. Er hatte fast die ganze Nacht wach
gelegen, hatte nicht schlafen können und Gedanken waren ihm durch den Kopf gewirbelt.
Etwa um drei Uhr war ihm dann die Erklärung gekommen, die verblüffend einfach
und trotzdem so lange von ihm verdrängt worden war.
    Er fühlte sich zu Anna hingezogen.
    Als sie seine Ansicht zurückgewiesen hatte, hatte er das als
persönliche Ablehnung empfunden und überreagiert.
    Jack fuhr nach rechts auf die Columbia Road und dann links die 18th
Street hinunter, mitten nach Adams-Morgan hinein. Die nächste Herausforderung
war, einen Parkplatz zu finden. Er sah sich nach einer Lücke um, während er
langsam die Straße entlangfuhr.
    Er hatte schon lange gegen seine Gefühle für Anna angekämpft. Er
hatte versucht, sich zu überzeugen, dass es dabei um väterliches Beschützen
oder pflichtbewusstes Anleiten ging. Aber nein. Er wusste, was es war. Er begehrte
sie.
    Und er dachte, dass sie eventuell ähnlich fühlte. Er hatte sie ein
paar Mal dabei ertappt, wie sie ihn ohne bestimmten Grund über den Tisch im
Einsatzraum hinweg anschaute – einfach sein Gesicht oder seine Hände betrachtete.
Sie war oft im Einsatzraum, selbst wenn sie an anderen Fällen arbeitete.
Vielleicht wollte sie in seiner Nähe sein, genau wie er in ihrer Nähe sein
wollte, auch wenn sie schweigend Seite an Seite arbeiteten.
    Und vorgestern in seinem Haus – als sie im Gästezimmer standen – war
er sich ziemlich sicher gewesen, dass sie ihn hatte küssen wollen. Er war
gegangen, weil Olivia im Zimmer nebenan war und weil er nicht der schäbige Chef
aus dem Übungsvideo über sexuelle Belästigung sein wollte und weil er nicht die
Situation einer jungen Frau ausnutzen wollte, die gerade einen