Ewig sollst du bueßen
Dass sie ihm mehr bedeute als jeder Mandant oder jede Ãberzeugung.
Dass es ihm leidtäte, die Verteidigung Dâmarcos über ihre Beziehung gestellt zu
haben. Wenn er all dies sagen würde, könnten sie vielleicht wieder zusammen
sein.
Falls dieser Moment jetzt gekommen sein sollte, dann legte Nick
Wagner einen sehr enttäuschenden Start hin.
Er war betrunken. Sehr betrunken. Ein bernsteinfarbener Fleck zierte
sein teilweise aus der Hose hängendes Hemd, seine Krawatte saà schief, seine
Augen hingen auf halbmast. Er schwankte vor und zurück, klammerte sich mit
einer Hand am Türknauf fest und hielt mit der anderen eine Schachtel an seine
Brust gedrückt. Verblüfft und besorgt schob sie den Riegel zurück. Sobald die
Tür offen war, schlug ihr eine Whiskeyfahne entgegen. Sie fragte sich, wie Nick
sich noch auf den Beinen halten konnte.
»Nick! Geht es dir gut?«
»Hallo, Anna.« Nicks Kopf kippte zur Seite. Es schien ihm Mühe zu
bereiten, ihn wieder aufzurichten und sie mit seinen blutunterlaufenen Augen
anzuschauen. »Die sind für dich.«
Er hielt ihr die Schachtel von Juliaâs Empanadas hin. Anna nahm sie
ihm nicht ab. Nick sah schlecht aus. Sah man einmal davon ab, dass er
volltrunken war, dann hatte er auch noch tiefe Ringe unter seinen geröteten
Augen, und von seiner sonst üblichen Verschmitztheit war nichts zu merken. Sein
maÃgeschneiderter Anzug saà ziemlich locker, er schien Gewicht verloren zu haben.
Trotzdem sah er bemerkenswert gut aus â tatsächlich wirkten die Wangenknochen
in seinem schmaleren Gesicht ausgeprägter und sein Kinn entschlossener. Dazu
kamen noch die Bartstoppeln des langen Tages, und schon sah er aus wie einer
der bösen Buben in Hollywood. Anna fühlte sich körperlich zu ihm hingezogen,
wie es immer der Fall war, wenn er in der Nähe war. Sie machte ganz bewusst
einen Schritt zurück.
»Wieso bist du hier?«, fragte sie. Zu viele Gedanken und Gefühle
bestürmten sie, als dass sie alle hätte analysieren können: der andauernde
Ãrger und ihre Verletztheit über die Art und Weise, wie ihre Beziehung geendet
hatte, ihre Ãberraschung bei seinem Auftauchen vor ihrer Tür, Zuneigung beim
Anblick seines zerzausten dunklen Haars, Besorgnis wegen der Unangebrachtheit
seines Besuchs und ein wenig Angst beim Anblick eines sehr betrunkenen Mannes.
Den letzten Gedanken schob sie beiseite. Nick war nicht ihr Vater. Egal, wie
betrunken Nick auch war, er würde ihr nichts antun.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich mit dir sprechen muss.« Er ging
langsam und vorsichtig, aber ohne zu zögern, mit den staksigen Schritten eines
sehr Betrunkenen in ihre Wohnung, als ob die letzten drei Monate nicht gewesen
wären.
»Nein, Nick. Halt.« Ihre Stimme war weich, aber die Hände auf seiner
Brust waren bestimmt. Sie schob ihn freundlich wieder auf den Absatz vor ihrer
Eingangstür zurück. »Es ist wohl keine gute Idee, wenn du jetzt hereinkommst.
Und wenn du wieder nüchtern bist, wirst du mir zustimmen.« Sie zog sich ein
Paar Schuhe an und ging zu ihm nach drauÃen. Sie nahm seinen Arm und versuchte,
ihn die drei Stufen zum Gehweg nach oben zu ziehen. »Ich werde dir ein Taxi
rufen.«
»Nein.« Er setzte sich auf die mittlere Stufe. Sie zerrte an seinem
Arm, doch er bewegte sich nicht.
»Los, nun mach schon, Nick.«
Ein paar vorbeikommende FuÃgänger schauten zu ihnen hin und
kicherten. Ein kleines Trunkenheitsdrama war in Adams-Morgan nicht
ungewöhnlich, die Bars lagen nur ein paar StraÃen weiter. Sie seufzte und lieÃ
Nicks Arm los. Sie ging an die StraÃe und hinterlieà in der dünnen pulvrigen
Schneedecke ein paar undeutliche Spuren. Sie rief ein Taxi heran und bedeutete
dem Fahrer, seine Scheibe herunterzulassen.
»Hi«, sagte Anna und beugte sich zum Taxifahrer vor. »Könnten Sie
bitte meinen Freund nach Hause bringen? Er wohnt nur ein paar StraÃen weiter,
aber er ist ein wenig wacklig auf den Beinen. Können Sie dafür sorgen, dass er
heil nach Hause kommt?« Der Fahrer nickte. Anna ging zu dem Strafverteidiger
vor ihrer Tür zurück. »Okay, Nick. Dieser nette Taxifahrer wird dich sicher zu
Hause abliefern.«
 Nick schüttelte nur seinen
Kopf, sonst bewegte er sich nicht.
»Nun komm schon. Du musst gehen.« Sie zog an seinem Arm, doch er
blieb hartnäckig sitzen.
»Ich will nicht
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