Ewig sollst du bueßen
schaute. Obwohl Jody zwei Jahre jünger war und ein wenig
gröÃer, hatten sie dasselbe honigblonde Haar, dieselben hohen Wangenknochen,
dasselbe Lächeln mit rosigen Wangen, das Anna mit Menschen aus dem Mittleren
Westen in Verbindung brachte. Doch nun hatten die verschiedenen Lebensweisen
der beiden Schwestern auch äuÃerlich Spuren hinterlassen. Anna war dünn, weil
sie joggen ging, Yoga machte und dauernd Stress bei der Arbeit hatte. Jody
hingegen war kräftiger gebaut und hatte Muskeln vom Einbauen von Armaturenbrettern
in Trucks. Jodys Hände waren schwielig und ihre Nägel kurz; Anna hatte weiche
Hände und ihre Nägel waren noch manikürt von ihrem Wellnesstag mit Grace.
Nur eine Sache, an der man sie früher immer unterscheiden konnte,
war fast verschwunden. Anna betrachtete Jodys Wange. Die lange Narbe, die von
ihrem Mund zu ihrem Ohr verlief, war kaum noch sichtbar.
»Es ist so schön, dich zu sehen, Jo«, sagte Anna.
»Dich auch«, erwiderte Jody, nahm den Blick von der StraÃe und
grinste über Annas Kamelhaarmantel. »Du siehst gut aus. Richtig erwachsen.«
Jody trug dieselbe rote Skijacke und Wanderstiefel wie noch auf der Highschool.
»Ich bin froh, dass ich wenigstens einer etwas vormachen kann.«
Sie kamen zu einem kleinen, heruntergekommenen Trailerpark. Anna
verzog ihr Gesicht, als sie die Gegend wiedersah, in der sie vor so langer Zeit
gelebt hatten. Ein verwittertes Schild verkündete: MAPLEVIEW PARK:
WOHNWAGEN-GEMEINSCHAFT. Die rostenden Trailer waren seit ihrer Ankunft hier
noch keinen Zentimeter bewegt worden, steckten hier fest, genau wie die meisten
ihrer Bewohner. Bäume waren keine zu sehen, trotz des Namens, der Aussicht auf
Ahorne versprach. Es war einfach ein Stück flaches Land, das mit schmutzigem
Schnee bedeckt war, einem Einkaufszentrum auf der einen Seite und einem
stoppligen Getreidefeld dahinter.
»Sie wollen alles abreiÃen und einen riesigen Supermarkt hierhin
bauen«, sagte Jody ruhig.
»Ist nicht schade drum.« Anna schloss ihre Augen und drückte ihre
Stirn gegen die kühle Scheibe.
Sie fuhren weiter, bis sie nach Swartz Creek kamen, einem Vorort von
Flint mit kleinen Häusern, ordentlichen Gärten und mehreren Wagen in jeder
Einfahrt. Amerikanische Flaggen hingen von vielen Veranden und auf den meisten
Autos waren Aufkleber der Gewerkschaft zu sehen. Obwohl viele Arbeitsplätze
nach Mexiko abgewandert waren, waren trotzdem genug übrig geblieben, um diesen
ruhigen Vorort zu unterhalten, wenigstens bis jetzt noch.
Jody bog mit dem Yukon auf die Einfahrt eines kleinen weiÃen
Ranchhauses mit einer grünen Tür. Nachdem sie jahrelang sorgfältig ihr Geld
weggelegt hatte, hatte sie schlieÃlich genügend für eine Anzahlung zusammen und
sich diesen Sommer das Haus gekauft. Anna hatte im Netz schon Fotos gesehen,
doch nun war sie zum ersten Mal hier.
»Klein, aber mein«, sagte Jody fröhlich.
»Willst du mich auf den Arm nehmen? In D.C. würde dieses Haus eine
halbe Million kosten. Mein Apartment würde in deine Garage passen.«
Jody lachte und half Anna, ihre Sachen nach drinnen zu bringen. Anna
sah sich im Haus um, staunte über die Räume, die Jody selbst in kräftigen
bunten Farben gestrichen hatte. Anna fuhr mit der Hand über die lila schattierten
Wände des Badezimmers.
»Das hast du mit dem Schwamm gut hinbekommen.«
»Ja, ich war bei Benjamin Moore, dem Farbenhersteller, mal eine
Zeitlang das Vorzeigemädchen.«
Jody kochte heiÃe Schokolade, und die Schwestern machten es sich auf
der Couch gemütlich, während drauÃen die Sonne unterging. Jody tischte die
letzten Neuigkeiten über die Schwierigkeiten der Autoindustrie auf sowie den
Klatsch über ihre Freunde von der Highschool.
Anna nippte an ihrem Kakao und hörte eine Weile zu, unterbrach ihre
Schwester dann aber. »Okay, das reicht jetzt über das Liebesleben von anderen.
Erzähl mir von deinem. Wie ist der Typ, mit dem du ausgegangen bist? Doug. War
es der Richtige?«
»O nein. Was für ein Schwachkopf. Es ist vorbei.«
»Was ist passiert?«, wollte Anna wissen. »Du hast doch gesagt, dass
er so süà sei.«
»Ja, wenn er nüchtern war. Tagsüber Johnny Depp, nachts Johnnie
Walker. Ich habe erst mal genug von Verabredungen.«
»Ach, nun komm schon«, meinte Anna. »Du hast nur einfach die Gabe,
dir die Schlechten
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