Ewig sollst du bueßen
krankschreiben
lassen. Sie musste weg, all dem Geklatsche entkommen, eine Perspektive entwickeln
und herausfinden, was als Nächstes zu tun war.
»Hast du Jack seit dem Morgen gesprochen?«, fragte Jody.
»Nein. Da gibt es nichts hinzuzufügen. Er ist der einzig wirklich
feine Mann, den ich kenne, und ich habe ihn gedemütigt. Er muss mich hassen.«
Jody stellte ihren Kakao ab und zog Anna an sich. »O Annie, was für
ein Schlamassel«, sagte sie. Als Jody sie wieder loslieÃ, zeigte sie mit groÃer
Geste auf das Wohnzimmer um sie herum. »Betrachte dies als deinen
Anti-Spa-Ausflug. Nach einem langen Wochenende in Swartz Creek wirst du
garantiert dein eigenes Leben wieder mehr schätzen«, witzelte sie. »Habe ich
schon erwähnt, dass du auf der Couch schläfst? Ich habe noch kein zweites
Bett.«
»Finde ich wenigstens abends Pfefferminzbonbons auf meinem Kissen?«
»Nein, aber wenn du darunter schaust, findest du wahrscheinlich ein
paar Essensreste.«
»Iiih.«
»Wart erst mal, bis du das Schlammbad siehst.«
Anna spürte, wie sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen â das
erste Mal seit Tagen.
Anna verbrachte den Rest der Woche damit, in das Leben
ihrer Schwester einzutauchen. Sie gingen shoppen, trafen alte Freunde bei
Scooterâs, der hiesigen Kneipe, machten Langlauf. Sie feierten Thanksgiving mit
einem gewaltigen Essen und einem Besuch auf dem Friedhof, wo sie ihrer Mutter
Blumen aufs Grab legten.
Während der ganzen Zeit dachte Anna darüber nach, was sie als
Nächstes tun sollte, aber sie konnte weder eine Antwort finden noch die Frage
aus ihrem Kopf verbannen. Nachts war es am schlimmsten. Wann immer Anna ihre
Augen zumachte, vermischten sich Bilder von Laprea, Dâmarco, Nick und Jack mit
Bildern vom Trailerpark, wo ihre Familie gelebt hatte, als sie zehn Jahre alt
war.
Ihre letzte Nacht in Michigan verbrachte sie schlaflos auf Jodys
Couch, warf sich alle paar Minuten herum. Die Uhr zeigte 4:42, als Anna endlich
aufgab, schlafen zu wollen. Sie setzte sich auf, legte sich die Decke um die
Schultern und starrte auf Jodys schwarze Fenster.
In den dunklen Stunden vor der Dämmerung, erschöpft, aber nicht in
der Lage zu schlafen, traf Anna eine Entscheidung. Sie würde kündigen und sich
eine andere Stelle suchen. Sie wollte nicht an einem Job hängen, in dem man sie
nicht wollte, nur um die Albträume anderer Leute zu bekämpfen. Davon hatte sie
selbst mehr als genug.
Aber die Entscheidung brachte ihr keinen Frieden und sie konnte
immer noch nicht schlafen.
Ihre Gedanken hörten nicht auf, zwischen drei schrecklich
beschämenden Erinnerungen hin und her zu springen. Wie sie in der Tür ihrer
Wohnung steht, mit Jack, der Blumen in der Hand hält, und Nick dazukommt. Wie
sie den ersten Fall gegen Dâmarco Davis verloren hat und Laprea beobachtet, die
vor dem Gericht mit ihm davongeht. Und wie sie sich unter dem Tisch in ihrem
Wohnwagen versteckt, in der Nacht, als ihr Vater ihre Mutter zum letzten Mal
schlug.
Sie konnte sich jetzt nicht mehr daran erinnern, wie der Streit
begonnen hatte. Dad war natürlich betrunken. Und er brüllte Mom wegen irgendetwas
an. Es hätte wirklich um alles gehen können. Er arbeitete nicht mehr und die
Streitereien wurden immer schlimmer und gewalttätiger. Anna kletterte von ihrem
Stuhl und lieà ihre Hausaufgaben auf dem Tisch liegen, als das Geschrei immer
lauter wurde. Sie stand neben Jody und hoffte, dass es aufhören möge.
Anna erinnerte sich daran, dass sie sich gewünscht hatte, ihre
Mutter möge nachgeben und sich entschuldigen für das, was ihren Vater so
gestört hatte. Nur um ihn zu beruhigen. Manchmal hatte das funktioniert. Aber
dieses Mal ärgerte er sich über alles, was ihre Mutter sagte, nur noch mehr.
Anna erinnerte sich an das Klatschen, als Dad ihrer Mutter ins
Gesicht schlug, und wie ihre Mutter nach Luft schnappte, als sie rückwärts
taumelte. Mom beugte sich nach vorn, legte ihre Hände auf die Oberschenkel und
versuchte, wieder Luft zu bekommen, wie sie es immer tat, wenn Dad sie schlug.
Ihr Kopf war jetzt auf gleicher Höhe mit Annas. Anna konnte ihr Gesicht sehen â
und die Angst und Beschämung in ihm.
Vielleicht war es die Scham, die ihre Mutter dieses Mal aufstehen
und sie ihrem Vater entgegentreten und etwas tun lieÃ, was sie noch nie zuvor
getan hatte. Sie stand auf und stieà ihn
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