Ewig sollst du bueßen
selbstständig.
»Sind Sie verletzt?«, fragte sie.
»Ja, aber das war es wert, nicht wahr?« Er grinste und rieb sich die
Schulter. »Normalerweise habe ich schon einen aufregenden Tag, wenn im Büro der
Drucker zickt.«
Sie lachte. »Wie haben Sie den Pfad bemerkt?«
»Ich habe mal hier in der Gegend gewohnt. In meiner Kindheit habe
ich die Abkürzung sicher hundertmal genommen.«
Einen Augenblick standen sie einfach nur da und grinsten sich an,
weil sie das Merkwürdige an dieser Situation erkannten: Zwei Anwälte standen
mitten an einem heiÃen Sommertag auf einem Gehsteig, eine Spur verwüsteter Autos
zog sich hinter ihnen her, und zu ihren FüÃen wurden einem gesuchten Verbrecher
Handschellen angelegt.
Green fuhr fort, Dâmarco seine Rechte zu zitieren. »Sie haben das
Recht auf einen Anwalt. Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können â«
»Ich kenne meine Rechte«, unterbrach Dâmarco und spuckte Blut auf
den Gehweg. »Ich will meinen Anwalt sehen. Nick Wagner.«
»Ja«, erwiderte Anna und schaute Dâmarco in die schmal gewordenen
Augen. »Wir kennen ihn.«
KAPITEL 17
Anna war immer stolz darauf gewesen, ein Problem schnell
erkennen und lösen zu können. Doch heute stand sie sicher zehn Minuten vor
ihrem Kleiderschrank, unfähig sich zu entscheiden, was sie anziehen sollte. Sie
war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, fantastisch auszusehen, und nicht
den Eindruck zu erwecken, dass sie sich besondere Mühe mit ihrem ÃuÃeren
gegeben hätte. Ihr Blick fiel auf ein grünes Seidenjackett mit einem
chinesischen Kragen. Es war einer der wenigen Farb- und Lichtblicke ihrer
ansonsten eintönigen Anwaltsgarderobe, und sie bekam immer Komplimente, wenn
sie es trug. Sie berührte den Ãrmel, stark in Versuchung, doch dann schüttelte
sie den Kopf. Sie sollte einfach ihre übliche Gerichtsuniform anziehen â
allerdings ihre beste. Sie holte ihren schwarzen Lieblingsanzug heraus, dessen
schmaler Schnitt sie besonders groà und schlank wirken lieÃ, und eine
pinkfarbene Bluse. Und sie würde sich High Heels gönnen.
Heute war Dâmarco Davisâ Haftanhörung, und Anna würde Nick zum
ersten Mal seit ihrer Trennung vor zehn Tagen wiedersehen. Sie würden auf
entgegengesetzten Seiten des Gerichtssaales sitzen, als Gegner in dem bisher
wichtigsten Fall ihrer Karriere. Es war nichts falsch daran, heute so gut wie
möglich aussehen zu wollen, sagte sie sich, als sie ihr Haar zum ersten Mal
seit Wochen wieder einmal fönte. Mit ihr und Nick war es offensichtlich vorbei.
Aber sie wollte nicht, dass er dachte, sie hätte sich seit ihrer Trennung gehen
lassen, argumentierte sie, als sie eine Schublade nach ihrer lange nicht benutzten
Wimperntusche durchsuchte.
Als sie mit dem Zurechtmachen fertig war, ging sie in den schon
schwülen Augustmorgen hinaus und schloss sich dem Strom der jungen
Berufstätigen in ihren eintönigen Anzügen an, die auf dem Weg zur U-Bahn waren.
Sie fragte sich, wie viele dieser adretten jungen Menschen in ihren Zwanzigern
wohl Anwälte waren. Höchstwahrscheinlich achtzig Prozent. Und wie viele hatten
den gröÃten Fall ihrer Karriere gegen einen Anwalt vor sich, mit dem sie vor
einigen Wochen noch geschlafen hatten? Da war sie sicherlich die Einzige.
Sie fragte sich, wie sie sich benehmen sollte, wenn sie Nick sah.
Anna entschied sich für professionelles, aber cooles Verhalten. Tadellos
höflich, aber distanziert. Als sie die steile Rolltreppe zur höhlenartigen
U-Bahn-Station Dupont Circle hinunterlief, übte sie, wie sie ihn grüÃen würde.
»Guten Morgen, Herr Anwalt«, flüsterte sie. Oder war das zu formell? Sie wollte
bei Jack nicht dadurch auffallen, dass sie sich zu steif anstellte. »Hallo,
Nick«, versuchte sie es erneut. Der Name ihres Ex kam ihr ein wenig zu atemlos
über die Lippen; die BegrüÃung hörte sich an, als ob er ihr ein Tablett mit
French Toast ans Bett brachte. Sie seufzte. Das war unmöglich. Sie würde
einfach still sein und sich so unauffällig wie möglich verhalten.
Während der Fahrt zur Arbeit grübelte sie weiter nach, überflog im Express dreimal denselben Artikel, ohne etwas zu verstehen.
Was wäre, wenn Nick ihre Beziehung öffentlich machte? Sie glaubte es nicht,
denn das wäre auch für ihn peinlich, doch was wäre, wenn er etwas
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