Ewig sollst du bueßen

letzter Verhandlung bei den
minderschweren Straftaten hatte im Gericht die jährliche Rotation der Richter stattgefunden,
und Richterin Spiegel hatte eine begehrte Terminliste bei den Verhandlungen
über Schwerverbrechen bekommen, wo sie nun den Vorsitz über die schwersten
Fälle führte: Sexualdelikte und Mord. Außer ihr waren noch drei andere Richter
damit befasst, doch durch Los hatte sie den Vorsitz für diesen Fall bekommen.
Es war nicht ungewöhnlich, dass ein Jurist einen Fall verhandelte, bei dem er
schon früher mit dem Angeklagten zu tun hatte. Anna war der Meinung, dass die
Anklage es mit dieser Richterin gut getroffen hatte – vielleicht würde die
Richterin ihnen aus Bedauern, dass sie D’marco das letzte Mal hatte gehen
lassen, einige Vorteile zugestehen. Anna fragte sich allerdings, ob Nick die
Richterin wegen Befangenheit ablehnen würde. Andererseits mochte er vielleicht
eine Richterin, die seinen Mandanten erst kürzlich für unschuldig erklärt
hatte.
    Durch eine Seitentür wurde D’marco von einem Deputy-Marshal in den
Saal gebracht. Anna war froh, ihn wieder in einem orangefarbenen Overall zu
sehen und die Ketten bei jedem Schritt rasseln zu hören. Seine Hände lagen vor
seinem Körper in Handschellen, seine Füße waren zusammengekettet und eine Kette
verband die Hand- und Fußschellen. Vor den Geschworenen würde man ihm alles
abnehmen und ihm erlauben, normale Kleidung zu tragen. Bei allen anderen
Gelegenheiten würden sie ihn für alle sichtbar unter Kontrolle behalten. Der
Marshal brachte D’marco zu Nick.
    Â»Es tut mir leid, Mr. Davis, Sie unter diesen Umständen
wiederzusehen«, sagte die Richterin ernst zu D’marco. »Wirklich sehr leid.«
    Anna hörte das Kratzen der Stifte, als die Journalisten die Worte
der Richterin auf ihre Notizblöcke schrieben. Richterin Spiegel machte eine
kurze Pause, um ihnen die Zeit zum Schreiben zu geben. Dann wandte sie sich an
die Anwälte.
    Â»Identifizieren Sie sich bitte für das Protokoll.«
    Anna blickte Jack an. Dies ist Ihre Show, sagte sein Blick. Sie
räusperte sich.
    Â»Anna Curtis für die Vereinigten Staaten von Amerika.«
    Â»Nicholas Wagner für den Angeklagten, D’marco Davis.«
    Anna war jedes Mal stolz, wenn sie sich vor Gericht vorstellte. Sie
vertrat die Interessen des ganzen Landes. Das bedeutete normalerweise, die
bösen Buben wegzuschließen – aber nicht immer. Sie hatte die Pflicht, fair zu
sein. Wenn sie der Meinung war, dass die Polizei die Verfassung verletzt hatte,
war es ihre Aufgabe, das belastende Beweismaterial nicht heranzuziehen – und
die Polizei zu ermahnen, so etwas nicht noch einmal zu tun. Wenn sie dachte,
dass ein Angeklagter das ihm zur Last gelegte Verbrechen nicht begangen hatte,
war es ihre Aufgabe, den Fall einzustellen. Ihre Aufgabe war es nicht, um jeden
Preis zu gewinnen, sondern der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Und dieses Mal war
ihre Rolle ihr auch persönlich sehr wichtig.
    Sie dachte über Nick und seine entgegengesetzte, enger gefasste
Aufgabe nach. Er war nur seinem Mandanten verpflichtet, nicht dem Wohl der
Allgemeinheit oder der Gerechtigkeit an sich. Wenn er wusste, dass sein Mandant
schuldig war, musste er ihn dennoch so gut wie möglich verteidigen. Das
Strafjustizsystem brauchte Verteidiger, aber für Anna war es schmerzlich, dass
Nick seine Rolle wichtiger war als Anna.
    Anna sah Nick nicht an, als er das Gericht ansprach, doch sie hatte
ihn ganz am Rand ihres Blickfeldes. Nur wenige Meter von ihm entfernt zu
stehen, getrennt durch unüberwindbare Umstände, fühlte sich nicht richtig an.
Sie waren sich einst so nah gewesen, wie es zwei Menschen nur sein können. Nun
gingen sie konkurrierenden Zielen nach und nur einer von ihnen konnte gewinnen.
    Â»Miss Curtis, Sie können nun Ihren ersten Zeugen aufrufen«, ließ die
Richterin vernehmen.
    Â»Der Staat ruft Detective Tavon McGee auf.«
    Als McGee in den Zeugenstand trat, nahm Anna die Liste ihrer Fragen,
aber nicht, um sie abzulesen, sondern um etwas in ihren zitternden Händen zu
haben. Sie beruhigte sich mit dem Stellen der üblichen einführenden Fragen.
    Â»Guten Morgen, Sir. Könnten Sie bitte Ihren Namen sagen und ihn für
das Protokoll buchstabieren?«
    Â»Detective Tavon McGee. T-A-V-O-N-M-C-großesG-E-E.«
    Â»Wie ist Ihr aktueller Rang, welches Revier und