Ewig sollst du schlafen
gestellt worden war, den Mantel aus. Morrisette folgte Reed in sein Büro. »Ich muss nach Hause«, sagte sie in beinahe entschuldigen dem Tonfall. »Ich habe die Kinder in der letzten Zeit nicht gerade oft zu Gesicht bekommen.«
Reed warf einen Blick auf die Uhr. »Sind sie denn noch nicht im Bett?«
»Ich habe ganz vergessen, dass du ja keine Kinder hast. Du Glücklicher … oder vielleicht sind eher die nicht vorhandenen Kinder als glücklich zu bezeichnen.«
»Sehr witzig«, bemerkte er und schälte sich aus seiner Jacke. Das Gebäude war gut beheizt, auf über zwanzig Grad, obwohl es Nacht war und sich kaum noch jemand in den Büros aufhielt. Nur ein paar Unermüdliche wie er selbst, größtenteils Mitarbeiter ohne Familie, saßen noch an ihren Schreibtischen. Ab und zu kam Reed seine Einsamkeit zum Bewusstsein, und das weckte eine gewisse Melancholie in ihm, doch das ging immer wieder vorüber. Er war nicht der Typ, der sich dauerhaft band. Seine Partnerschaften waren allesamt gescheitert, einschließlich der einen, die von Bedeutung für ihn gewesen war. Damals hatte er in San Francisco gelebt. Helen war Lehrerin gewesen und hatte versichert, ihn zu lieben. Doch das hatte nicht ausgereicht, um ihn nach jener Tragödie in der Stadt zu halten. Nichts und niemand hätte ihn halten können. Also war er nach Savannah zurückgekehrt, und seine wenigen Beziehungen, wenn sie sich denn überhaupt als solche bezeichnen ließen, waren flüchtiger Natur gewesen, so auch seine kurzlebige Affäre mit Bobbi Marx. »Geh nach Hause zu deinen Kindern.«
»Das tu ich jetzt auch«, sagte sie, und in dem Moment, als sie zur Tür hinausging, piepste ihr Handy. »Siehst du. Wir reden und reden, und die Babysitterin erwartet mich bereits. Wir sehen uns morgen.«
»Bis dann«, erwiderte er, doch sie war bereits verschwunden. Nun war er allein im Büro. Er ging seine E-Mails durch, fand nichts von Interesse und beschloss, die Nachrichten am. nächsten Morgen zu lesen. Er spürte die Müdigkeit bis in die Knochen, und der Gedanke an seinen Sessel, eine heiße Dusche und ein kaltes Bier war sehr verlockend. Vielleicht sollte er einfach nach Hause fahren. Und morgen in alter Frische loslegen. Er griff nach seiner Jacke, da klingelte sein Telefon. Bevor es noch einmal schrillen konnte, hob er den Hörer ab. »Detective Reed«, meldete er sich gewohnheitsmäßig.
»Sie sind ja noch da. Ich hatte damit gerechnet, um diese späte Stunde höchstens noch Ihre Mailbox zu erreichen.« Reed erkannte die Stimme des Gerichtsmediziners Gerard St. Claire.
»Hören Sie, mir liegt das vorläufige Ergebnis des Falls da oben im Norden vor. Ich habe mit dem Kollegen in Atlanta gesprochen.«
»Jetzt schon?« Reeds Müdigkeit war verflogen. »Wie gesagt, vorläufig. Sehr vorläufig. Aber wir haben Order, uns ranzuhalten. Den Sheriff von Lumpkin County haben wir bereits angerufen. Aber ich dachte mir, es würde Sie auch interessieren, was wir herausgefunden haben.«
»Was denn?«
»Allzu viel können wir nicht sagen. Noch nicht. Die bislang nicht identifizierte Frau ist offenbar an einem Herzinfarkt gestorben. Wir haben nichts entdeckt, was auf einen Mord hinweist. Falls sie in den Sarg gesteckt und lebendig begraben worden ist, könnte sie dabei einen Herzinfarkt erlitten haben. Das untersuchen wir noch, aber die Verwesung hat bereits eingesetzt, und der Zustand der Leiche lässt vermuten, dass die Frau seit fast zehn Wochen tot ist.« Reed machte sich Notizen. Hörte zu. »Bei der anderen Frau ist die Sache einfacher.« Reeds Eingeweide zogen sich zusammen. »Die Todesursache des jüngeren Opfers, das als Barbara Jean Marx identifiziert wurde, ist wahrscheinlich Ersticken, aber wir untersuchen den Körper noch nach Verletzungen und außerdem ihr Blut. Bisher hat sich in der Hinsicht noch nichts ergeben. Dem
Rigor mortis
nach zu urteilen war sie noch keine vierundzwanzig Stunden tot. Die Leiche ist nicht transportiert worden, was darauf hindeutet, dass sie in dem Sarg erstickt ist. Keine sichtbaren Verletzungen, außer den Abschürfungen an ihren Fingern, die sie sich beim Befreiungsversuch zugezogen hat. An der Wirbelsäule hat sie eine Tätowierung in Form einer Kletterrose.« Reed erinnerte sich. Hatte dieses Kunstwerk mit den Fingern nachgezeichnet. Er schauderte.
»Ihr Körper weist außerdem ein paar Blutergüsse auf – die überprüfen wir noch. Ob ein Kampf stattgefunden hat, können wir jetzt noch nicht sagen. Wir checken noch das,
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