Ewig sollst du schlafen
Reed aufbauten, nahm sie sich vor, seinen Familienstand zu überprüfen und weitere Informationen über das zu sammeln, was ihm in San Francisco widerfahren war. Und über seine ersten Lebensjahre im Norden von Georgia, in der Nähe vom Blood Mountain und dem Fundort des Grabs. Sie wusste, dass sich seine Eltern getrennt hatten und seine Mutter ihn nach Chicago verschleppte. Irgendwann landete er dann an der Westküste. Trotz alledem kehrte Reed immer wieder nach Savannah zurück, einmal vor etwa fünfzehn Jahren, ein zweites Mal erst vor kurzem. Aber warum? Sie nahm sich vor, in Lumpkin County intensivere Nachforschungen anzustellen, mit dem Sheriff zu reden, mit dem verletzten Jungen, seinem Cousin und denjenigen, die Reed als Heranwachsenden gekannt hatten. Es musste doch einen Grund dafür geben, dass Reed trotz der großen Entfernung stantepede nach Lumpkin County gedüst war. Der Monitor flackerte, und auf Nikkis Züge stahl sich ein Lächeln. Zu Detective Pierce Reed erschienen Dutzende von Links. Es war ein wahrer Schatz an Auskünften, und vieles davon war auf den
Savannah Sentinel
zurückzuführen. Doch es gab auch andere Infos, einschließlich einer Artikelserie in Zeitungen in San Francisco und Oakland, Kalifornien.
Mit einem Mausklick erhielt Nikki Gillette Einsicht in das Privat- und Berufsleben von Detective Pierce Reed. Sie sah Bilder von ihm als bedeutend jüngerem Mann und kam zu dem Schluss, dass er, so gut er damals auch ausgesehen haben mochte, heute noch besser aussah. Sie persönlich jedenfalls fand ihn jetzt viel bestechender. Er war kräftiger geworden, sein Haar war von grauen Fäden durchzogen, und seine forschen Züge und Falkenaugen passten gut zu den Denkfalten und dem Bartschatten in dem kantigen Gesicht, die sich nun zeigten. Die Verbitterung und das Misstrauen, die seinen Blick nun ein wenig verhangen wirken ließen, steigerten noch seine Anziehungskraft.
Du bist ein widerliches Weib, schalt sie sich selbst. Sie stand wirklich immer auf die falschen Typen. Sean Hawke war dafür ein Paradebeispiel. So attraktiv Reed auch sein mochte, sie sollte niemals vergessen, dass ihr Interesse an ihm einzig und allein beruflicher Natur war. Sie hatte schließlich eine Story zu schreiben, ihre Karriere voranzutreiben, und was sie nicht einmal in ihren kühnsten Träumen brauchte, war eine romantische Liebschaft.
Sie hätte beinahe laut gelacht. Romantisch? Mit Pierce Reed? Dem sinnbildlichen Hasser des vierten Standes? Guter Witz!
»Ich will wissen, wer Bobbi Jean als Letzter lebendig gesehen hat«, knurrte Reed Morrisette und McFee an, als sie von Marx’ Büro aus losfuhren. Es war dunkel, bald neun Uhr abends, die Straßenlaternen erhellten die Umgebung, und Morrisette saß am Steuer, wie üblich den Bleifuß auf dem Gaspedal. Reed hockte auf dem Beifahrersitz, McFee im Fond des Streifenwagens. Sie hatten den Tag in Atlanta verbracht. Dort wurden sie Zeugen, wie ein aschfahler Jerome Marx seine Frau identifizierte.
Er sah zu, wie das Laken von der Leiche gezogen wurde, und jeder Muskel in seinem Körper verkrampfte sich. »Sie ist es«, flüsterte er und wandte sich schnell ab, als könnte er ihren Anblick nicht eine Sekunde länger ertragen. Doch er brach nicht zusammen, gestattete sich nicht eine einzige Träne und wirkte nicht eben gramgebeugt. Erst als er erfuhr, wie sie gestorben war, schien er wirklich schockiert zu sein. Reed war nicht klar, ob Marx’ Widerwille auf der Tatsache basierte, dass Bobbi tot war, oder darauf, dass er sich gerade von ihr scheiden ließ. Was auch immer der Grund sein mochte, falls Jerome Marx seine Frau lebendig in diesen Sarg gestopft hatte, dann gelang es ihm verdammt gut, sich nichts anmerken zu lassen. Er redete ganz offen mit ihnen und stimmte einem Lügendetektortest zu. Er wollte wissen, wo ihr Ring sei, der Ring, den er ihr zu irgendeinem Hochzeitstag geschenkt hatte. Man hatte bei der Leiche keinen Ring gefunden, und daraufhin äußerte er die Vermutung, dass Bobbi ihn wahrscheinlich wegen des laufenden Scheidungsverfahrens abgelegt hatte. Als man ihn fragte, ob er mit einer Durchsuchung seines Grundstücks einverstanden sei, zuckte er nicht einmal mit der Wimper und verlangte auch nicht, mit seinem Anwalt zu sprechen. Marx verhielt sich in jeder Hinsicht wie jemand, der nichts zu verbergen hatte. Doch Reed kaufte ihm das nicht ab. »Und ich will eine Liste ihrer Telefongespräche und –«
»Ja, ja, das Übliche, ich weiß«, unterbrach
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