Ewig
entschuldige mich, für was auch immer. Meine Nerven liegen genauso blank wie deine.«
Sina drehte sich um. »Scheiße, Paul. Der Nachsatz musste ja sein – für was auch immer«, knurrte er. Dann hob er ruckartig den Arm und ballte die Faust. Paul zuckte instinktiv zurück, blieb aber, wo er war. Sina ließ den Zeigefinger vorschnellen und tippte Wagner auf die Brust. Mit jedem Stoß der Fingerspitze unterstrich er einen seiner Sätze:
»Du entschuldigst dich? Reichlich spät, oder? Du leierst eine Entschuldigung herunter, ohne zu begreifen, wofür. Aber das hast du immer schon so gemacht! Aber ich bin nicht unsere Lehrerin, der du schöntun kannst, weil du deine Hausübung vergessen hast, die du dann von mir abgeschrieben hast! Du warst und bist ja Everybody’s Darling! Immer ein Scherz auf den Lippen! Immer vergnügt, darum lieben dich ja alle. Du weißt doch gar nicht, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen!«
»Georg, ich verstehe ehrlich nicht, was das jetzt soll.«
»Du verstehst nicht?«, schrie Sina. »Genau das ist dein Problem, Paul, du verstehst nie etwas. Erst wenn man dich mit der Nase drauf stößt.«
»Georg, ich habe wirklich keine Lust … Und schön langsam reißt mir der Geduldsfaden.«
»Bitte, dann reißt er eben. Glaubst du, ich fürchte mich vor dir?« Sina machte einen Schritt zurück und breitete einladend die Arme aus.
»Was wird das hier? Sollen wir uns jetzt prügeln? Tut mir leid, aber das ist nicht mein Stil.« Wagner winkte ab und entfernte sich langsam. »Rede mit mir, wenn du dich beruhigt hast.«
»Nicht dein Stil? Was genau ist dein Stil? Beamtenbestechung, Leichenfledderei und Klatschspalten? Ich erkenne dich nicht wieder! Was zum Beispiel ist das hier? Die schicke Remise, die Sammlung japanischer Motorräder, die trendigen Klamotten, der Whirlpool? Wem zum Teufel willst du etwas beweisen, Paul? Warum bist du ständig hinter jedem Rock her, der nicht bei drei auf den Bäumen ist? Wen willst du beeindrucken? Deine Mutter?«
Wagner erstarrte, aber er versuchte krampfhaft die aufsteigende Wut zu beherrschen. Er wusste nur zu gut, dass es sein Freund allein darauf anlegte, ihn zu provozieren. Er erinnerte sich an die langen Spaziergänge und Gespräche, die durchzechten Nächte und die ungezählten Morgengrauen am Würstelstand bei der Albertinarampe. Paul war sich bewusst, dass Georg darauf Bezug nahm. Er warf seine Worte wie seine Messer genau ins Ziel. Nach einer Pause meinte er bitter: »Mutter, Vater … Du hast keine Ahnung davon, eine Mutter zu haben, die nach über zwanzig Jahren nicht eine einzige, einfache Umarmung zustande bringt. Die dir die Schuld gibt, dass ihre Karriere im Sande verlaufen ist. Die dich für jeden Tag deines Lebens, der ihres zerstört hat, zur Verantwortung zieht. Also rede du mir nicht von Verantwortung, mon cher. Aber reden wir von deinem Vater …« Der Reporter lächelte grimmig. »Präsident Dr. Sina, Anzugträger und Überfigur, die Korrektheit in Person und die wandelnde tägliche Erinnerung ›werde so wie ich, Sohn!‹. Woher kommen denn deine langen Haare und deine mangelnde Teamfähigkeit? Verwechselst du nicht Schweigsamkeit mit Verantwortung, Trauer mit Charakterstärke?«
»Nein, das tue ich nicht. Aber ich habe eine Ahnung davon, was es heißt, einen geliebten Menschen zu begraben! Jemanden, den ein anderer, den man wie seinen Bruder liebt, auf dem Gewissen hat.« Sina baute sich vor Wagner auf. »Wie war das damals, Paul, wolltest du Clara auch beweisen, was für ein toller Hecht du bist? Wie grandios du mit deinem Motorrad umgehen kannst? Dass du um so vieles begehrenswerter bist als der fade Bücherwurm? Ich habe nie etwas gesagt, wenn du die Mädels aus unserer Schule oder an der Uni abgeschleppt hast. Selbst dann nicht, wenn es Mädchen waren, die mir gefallen haben, aber ich wieder einmal zu spät gekommen war oder einfach zu feige, um sie anzusprechen. Du hast mit ein paar flapsigen Sätzen im Vorübergehen erreicht, wofür ich meinen ganzen Mut zusammennehmen musste. Und dann hast du mir auch noch Clara weggenommen! Ich habe es selbst nicht verstanden, aber der Anrufer hatte Recht, im Grunde wollte ich dir ein Messer verpassen! Für das, was du mir und Clara angetan hast!«
Sina sackte zusammen, hockte sich auf den Boden und vergrub das Gesicht in seinen Händen, seine Schultern bebten. Wagner stand schweigend neben ihm.
Schließlich hob Sina den Kopf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Es tut mir
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