Ewig
Dürers Melencolia I stürzt auch ein Stern vom Himmel, der wie ein Kometenschweif aussieht. Da beißt sich die Katze in den Schwanz«, brummte der Institutsvorstand.
»Ja, da habe ich auch daran gedacht. Allerdings erscheint Halley 1456, also vor Dürers Geburt, am Himmel über Deutschland«, seufzte Sina.
»Und das nächste Mal erst wieder 1531, da ist Dürer schon gestorben gewesen. Also worauf willst du hinaus, Georg?«, tastete sich Meitner langsam zum Kern der Sache vor.
»Wilhelm, jetzt haben wir so viel über China geredet, da habe ich mich gefragt, ob es nicht ein chinesischer Herrscher gewesen ist, der als Erster den Himmelskörper beschreiben hat lassen. Dass es vielleicht ein Großkhan war, der genau wie Friedrich den Kometen gesehen hat, wie dieser anonyme Anrufer zu mir gesagt hat. Hältst du das für möglich?«
»Interessante Theorie, Georg. Warte, ich habe eine Tabelle auf meinem Computer gespeichert.« Mit wenigen Anschlägen hatte Meitner das gewünschte Fenster geöffnet, schaute kurz drauf, runzelte die Stirn und meinte ruhig:
»Georg, das war nicht irgendein Großkhan, sondern der erste chinesische Kaiser. Am 25. Mai 240 vor Christus erschien Halley über China. Es war Qin Shihuangdi, der Kaiser mit der Tonarmee.«
Breitensee, Wien/Österreich
P aul Wagner drückte auf die Taste »Senden« und klappte zufrieden seinen Laptop zu. Ein großer, dreiteiliger Bericht war unterwegs an UMG und Elena, seine Honorarnote gleich mit angehängt. Hoffentlich machte es der alte Wineberg noch so lange, dass er seine Unterschrift unter den Scheck setzen konnte, dachte sich Wagner und trank den Kaffee aus. Der Neunzigjährige war nicht gerade ein Sympathieträger. Als Paul ihn vor zwei Jahren in West Palm Beach kennen gelernt hatte, saß Wineberg wie ein verhutzelter Gartenzwerg in einem Golf-cart. Erst als er ausstieg und sein Caddie ihm die Schläger reichte, bemerkte Wagner, dass der Gartenzwerg fast 1.90 groß war und für sein Alter einen bemerkenswerten Drive hatte. Der Exil-Österreicher Wineberg wollte den österreichischen Korrespondenten seiner Zeitungen kennen lernen und Wagner war dem Ruf nach Florida gefolgt. Der Kurzurlaub war nett und erholsam gewesen und Elena eine wahre Augenfreude, aber sympathisch hatte er den greisen Wahlamerikaner keinen Moment gefunden.
Wagner ging von seinem Büro über die Treppe hinunter zum Küchenblock und schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. Es dämmerte schon und der Reporter spielte mit dem Gedanken, das Vermächtnis von Mertens zu öffnen, das ihm Kommissar Berner in die Hand gedrückt hatte, als sein Handy läutete. Die unbekannten Teilnehmer reißen heute auch nicht ab, dachte er sich und nahm das Gespräch an.
»Es gab einen Mord in der Schotten Kirche«, eröffnete der Anrufer ohne Vorwarnung dem Reporter. »Diesmal ist einer von der Polizei darin verwickelt, ein Kommissar Berner. Man hat ihn mit der rauchenden Pistole vor der Leiche gefunden, einem junge Priester. Glatter Durchschuss, kein Wunder bei einer 45er aus nächster Nähe. Keine Zeugen, keine anderen Spuren.« Der Anrufer schwieg.
»Wissen Sie, wohin man Berner gebracht hat? In welches Kommissariat?«, fragte Wagner nach.
»In die geschlossene Sicherheitsabteilung im Allgemeinen Krankenhaus. Er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen, Gehirnerschütterung, aber er wird es überleben, der alte Sturkopf.« Der Anrufer lachte leise. »Die Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel. Konfuzius«, zitierte er trocken.
»Blödsinn, Berner hat niemals den Pater erschossen, Sie müssen den Verstand verloren haben, wenn Sie das glauben«, versetzte Wagner ärgerlich. »Und wenn schon Konfuzius, dann gebe ich Ihnen auch eines mit auf den Weg: Das Rechte erkennen und nichts tun ist Mangel an Mut.« Aber die Leitung war schon tot.
Berner mit einer Gehirnerschütterung und ein toter Priester … Wagner war verunsichert. Er steckte sein Handy in die Tasche und dachte an Pater Johannes gestern Abend. Der Tote konnte nur der junge Pater sein, den Berner befragen wollte, derselbe, der gestern zu Pater Johannes gelaufen war …
Wagner goss den Kaffee weg und schenkte sich dafür ein Glas Rotwein ein. »It’s five o’clock somewhere«, zitierte er den Song von Alan Jackson und Jimmy Buffet und prostete sich zu. Auf Berner, auf den wir heute Abend vergebens warten werden, dachte er und überlegte, ob er nicht ins Allgemeine Krankenhaus fahren sollte. Da hörte er, wie Georg
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