Ewig
alerie schaltete in den sechsten Gang und trieb den kleinen Mazda 3 über die deutsche Autobahn in Richtung Norden. Das Wetter war immer schlechter geworden und dunkle Wolken vor ihr verhießen nichts Gutes, aber noch war die Straße trocken. Sie hatte sich gegen die Route über Brünn und Prag entschieden, weil der schnelle Wagen nur dann seinen Vorteil ausspielen konnte, wenn er nicht durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf der Autobahn ausgebremst wurde. Und schnell war der kleine Pizza-Expresss, das musste Goldmann zugeben. Jemand hatte bei dem Tuning wohl auch gleich die Abriegelung der Höchstgeschwindigkeit entfernt. Die Nadel des Tachometers hielt sich bei 250 km/h nicht auf, sondern der kleine Flitzer legte auch dann noch kräftig zu und röhrte dabei wie ein Hirsch. Na ja, dachte sich Goldmann, wie ein kleiner Hirsch …
Das Display der Navigation immer im Blickfeld, war Valerie zügig vorangekommen, hatte alle Radargeräte ignoriert und gehofft, dass nicht irgendwo eine Zivilstreife warten und sie aufhalten würde. Eine Wagenkontrolle hätte sie nicht so schnell und problemlos hinter sich gebracht, angesichts des Arsenals, das sie mit sich führte. Selbst ihr Diplomatenpass hätte sie dann nicht vor einer Nacht in der Zelle gerettet.
Valerie kontrollierte nochmals die Navigation, ihre voraussichtliche Ankunftszeit in Chemnitz, Hauptbahnhof, lag bei 13:55 Uhr. Sie hatte keine Zeit zu verschenken. Als das Telefon läutete, nahm sie das Lenkrad in die rechte Hand und das Handy in die linke und ließ die Geschwindigkeit nicht unter 200 km/h fallen.
»Ja«, meldete sie sich.
»Hier mein Rückruf, wie versprochen«, tönte die Stimme von Shapiro an ihr Ohr. »Sie sind schon unterwegs?«
»Ich sollte rechtzeitig dort sein, aber es wird knapp werden«, meinte Valerie. »Ein einziger kleiner Stau und wir haben ein großes Problem.«
»Haben Sie einen schnellen Wagen von der Botschaft bekommen?«, wollte Shapiro wissen.
Goldmann verzog das Gesicht. Sie erinnerte sich an eine Ampelphase in Wien, wo ein junger Mann neben ihr in seinem Auto vier Finger in die Höhe gestreckt hatte. Als sie mit fragendem Blick ihr Fenster heruntergelassen hatte, meinte er nur trocken: »Liefern Sie auch Quattro Stagione?«
»Lassen wir das«, sagte sie also nur und hielt das Lenkrad mit dem Knie fest, während sie mit der rechten Hand einen Gang herunterschaltete und wieder voll beschleunigte. »Sie wollten von dem Buch erzählen, das in Chemnitz angeblich vergraben liegt.«
»Ja, genau. Dieses Buch enthält die Aufzeichnungen des berühmten Faust über seine lebenslangen Experimente, die medizinischen und die alchemistischen. Wenn Sie so wollen, alles, was er je herausgefunden und an Entdeckungen gemacht hat, ist in dem Buch verzeichnet. Hier in Tel Aviv behaupten einige Wissenschaftler, dass sich Johann Wagner zum Schein an der Ermordung Fausts beteiligt hatte, damit er in Ruhe weiterarbeiten und schließlich dieses Buch gefahrlos vergraben konnte. Sonst hätte man ihn wahrscheinlich ebenso verfolgt und beseitigt wie seinen Meister. So aber konnte der Vorfahr Paul Wagners – und wir sind uns in der Zwischenzeit absolut sicher, dass es ein direkter Vorfahre unseres Reporters ist – nicht nur das Buch vergraben, sondern auch einen Hinweis verstecken. Wo, das wissen wir nicht, aber ganz offensichtlich müssen Wagner und Sina diese Aufzeichnungen gefunden haben. Deshalb sind sie so schnell nach Chemnitz aufgebrochen.«
Valerie wich einem Lastwagen aus, der plötzlich vor ihr auf die Überholspur ausgeschert war, um an einem langsamen Wohnwagengespann vorbeizuziehen. Sie riss den kleinen Wagen scharf nach rechts und schoss auf dem Pannenstreifen am Wohnwagen vorbei. Der Lenker gestikulierte empört.
»Wenn ich so überlege, dann werden die beiden kaum seelenruhig nach dem Buch graben können«, dachte Goldmann laut nach, schaltete wieder in den sechsten Gang und gab dem Begriff »Pizza-Expresss« eine völlig neue Bedeutung, als die Nadel des Tachometers wieder die 250 km/h-Marke passierte. »In Chemnitz werden doch schon alle auf sie warten, die das Rennen bisher bestritten haben, die Chinesen, die Tempelherren und wer weiß noch alles.«
»Davon bin ich überzeugt«, meinte Shapiro ruhig, »es wird ein Stelldichein aller beteiligten Parteien sein, ein erstes und vielleicht auch entscheidendes Treffen.« Er dachte kurz nach und Valerie kontrollierte erneut die Navigation. Voraussichtliche Ankunftszeit 13:51 Uhr, sie hatte
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