Ewig
wieder vier Minuten gewonnen.
»Ich glaube kaum, dass bisher Chinesen und Bewahrer aufeinandergetroffen sind, zumindest habe ich nichts Dementsprechendes von meinen Informanten gehört. Ausgenommen natürlich die Aktion in den neunziger Jahren, als die Tempelherren die drei Wissenschaftler beseitigt hatten, die im Rahmen des Polizei-Austauschprogramms nach Wien gekommen waren. Dabei war keine der beiden Seiten zimperlich gewesen, die Chinesen hatten ihr Leben teuer verkauft. Man erzählte mir, dass sie einem der Tempelherren sogar die Kehle durchgeschnitten hatten, er aber überlebte, weil er sofort in ärztliche Behandlung kam. Ich hoffe also, Sie sind für das Treffen in Chemnitz gut gerüstet, Major Goldmann«, schloss Shapiro.
»Ich hoffe es auch, aber es wird mir trotzdem an Ort und Stelle etwas einfallen müssen, weil ich sonst keine Chance sehe, an Wagner und Sina heranzukommen. Ich bin ein Ein-Frau-Unternehmen in Konkurrenz zu chinesischen Killern oder Soldaten auf der einen Seite und den Bewahrern auf der anderen, die seit fünfhundert Jahren das Geheimnis sehr effektiv bewacht haben.« Valerie klang nicht sehr optimistisch.
»Nutzen Sie das Überraschungselement, Major Goldmann«, meinte Shapiro und fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Und vertrauen Sie mir, Sie haben noch einen Trumpf im Ärmel, von dem ich Ihnen nichts gesagt habe. Aber das ist auch gut so, sonst wären Sie nicht so unbelastet in diesen Einsatz gegangen. Vertrauen Sie mir einfach.«
»Ich glaube, ich vertraue derzeit niemandem außer mir selbst«, versetzte Valerie, »und schon gar nicht Ihnen, Shapiro. Sie setzen Ihre Informationen sehr sparsam ein und wissen Sie was? Ich glaube, Sie haben nicht nur mich geschickt. Ich bin mir fast sicher, Sie haben noch ein Eisen im Feuer. Wer hat zum Beispiel heute Morgen die Information an uns weitergeleitet, dass Wagner und Sina im Zug nach Chemnitz sitzen? Versuchen Sie mich für dumm zu verkaufen, Shapiro?«
»Die Leitung wird sehr schlecht, ich verstehe Sie nicht mehr«, rief der Geheimdienstchef ins Telefon und war auch schon im elektronischen Nirwana verschwunden. Das Tut-Tut-Tut klang in Valeries Ohren sehr spöttisch.
Eurocity 358 Wien–Dresden
A lso fassen wir zusammen. Wir brauchen dringend einen Stadtplan von Chemnitz, eine Landkarte von Sachsen, ein Lineal und einen Kompass«, zählte Georg Sina auf.
»Nein, einen Kompass habe ich auf dem Schlüsselanhänger von der Suzuki, der ist gut und erprobt«, unterbrach ihn Paul Wagner und sein Freund grinste.
»Damit du eine Ahnung hast, wohin du gefahren bist, aber Hauptsache, du warst schneller dort?«
Wagner machte ein beleidigtes Gesicht. »Einsiedler brauchen natürlich keinen Kompass, die verlassen sich auf ihr Pferd«, entgegnete er, »damit sie die ›arenhandlung‹ finden und dann wieder nach Hause, zurück in ihr verfallenes Gemäuer, in dem außer ihrem Flohträger, Verzeihung, Hirtenhund niemand auf sie wartet. Was hast du eigentlich mit Tschak und deinem vierbeinigen Kompass gemacht?«
»Die sind beide gut untergebracht bei meinem Freund Benjamin, dem Messerschmied. Der freut sich immer, etwas Unterhaltung auf seinem Bauernhof zu haben.« Sina lächelte. »Er redet leichter mit Tieren als mit Menschen. Nach zwanzig Jahren alleine im Nirgendwo kann ich das auch verstehen. Vielleicht wäre ich auch so geworden, wenn du mich nicht aus meiner Einschicht herausgeholt hättest.«
Paul Wagner schaute auf seine Uhr. »Wir sind pünktlich in Dresden, so wie es aussieht, und wir haben ganze neun Minuten zum Umsteigen. Während du schon den Bahnsteig auskundschaftest und sicherstellst, dass uns keiner folgt, laufe ich zur Bahnhofsbuchhandlung und versuche, einen Stadtplan und eine Landkarte zu finden. Dann können wir während der zwei Stunden Zugfahrt nach Chemnitz schon die Möglichkeiten eingrenzen.«
Sina nickte und zog das Pergament von Johann Wagner nochmals heraus.
»Das sollte alles nicht so schwierig sein. Erste Zeile ist klar: Wo in Chemnitz einst das trutz’ge Schloss gestanden – es muss also in der Vergangenheit vor den Toren der Stadt ein Schloss gegeben haben, das zerstört oder verlassen wurde. Wo nunmehr auch die schwarzen Brüder schweigen – die schwarzen Brüder sind logischerweise Mönche oder Pfarrer, die nun auch nicht mehr dort sind. Also etwa ein Kloster, das zerstört wurde wie die Burg, beide an der gleichen Stelle. Die dritte Zeile ist kryptisch: Sich an der Pforte Rosen um St. Mariens Bildnis
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