Ewig
Gespräch beendet hatte, warf er noch einen letzten Blick auf Sina, drehte sich um und verließ die Kirche. Wagner schaute ihm ratlos nach.
»Er ist auch nicht mehr das, was er mal war. Früher hätte er sich zumindest verabschiedet.«
»Corvinus – hmm, der Rabe ist von jeher das Zeichen der Alchemisten.« Sina war wieder bei seinen Gedankenspielen und malte Dreien. »Der Rabe von Ungarn, der Alchemist, Gegenspieler von Friedrich, dem Kaiser, der selbst immer von illustren und geheimnisvollen Persönlichkeiten umgeben war, dem man nachsagte, Gold zu machen und Lebenswasser zu mischen.« Irgendwie klang es gar nicht ironisch. Der Wissenschaftler stand auf und streckte sich.
»Ich glaube, wir kommen hier nicht mehr weiter. Die Buchstaben sind da, die Zahl auch, aber das ist auch schon alles. Ich sehe wirklich nicht, wohin uns das führen soll. Wir können noch Friedrichs Grab in der Stephanskirche besuchen, wenn wir sowieso schon da sind. Ich war vor langer Zeit einmal dort, sehr beeindruckend und monumental, über und über mit Symbolen und Wappen dekoriert. Vielleicht finden wir irgendetwas, das uns weiterhilft, dieses Rätsel zu verstehen.«
Sina strich sich mit einer Hand über das Haar. »Ich weiß noch immer nicht, was dieser Mord soll und das ärgert mich. Deswegen bin ich nämlich überhaupt mit dir nach Wien gekommen. Sonst wäre ich noch immer auf meiner Burg und ich frage mich inzwischen, ob das nicht besser gewesen wäre. Wir laufen sinnlos in der Gegend herum.« Wagner horchte auf. War der Waffenstillstand schon zu Ende und Sina wieder auf seinem Weg zurück in die Einsamkeit? Sina klang missmutig.
»Stephanskirche? Dann werde ich einen Freund anrufen, der bei der Sicherheitstruppe im Dom arbeitet, damit er die Schranke vor dem Grabmal öffnet und uns seine Kollegen vom Leib hält«, meinte Wagner und zog sein Handy aus der Tasche. Sina hörte ihn nicht mehr, er war schon auf dem Weg nach draußen.
Kommissar Berner eilte in sein Büro und nahm sich nicht einmal die Zeit, seinen Mantel auszuziehen. Er betrachtete den alten, weißhaarigen Mann, der vor seinem Schreibtisch saß und bei einem Glas Wasser auf ihn wartete, in seinem Schoß ein Heft mit Kreuzworträtseln. Der Kommissar grunzte etwas Unverständliches zur Begrüßung. Dann setzte er sich hin und fragte:
»Und warum melden Sie sich erst jetzt?« Berner war nicht zu Freundlichkeiten aufgelegt. Bei diesem Fall lief nichts, wie es sollte. Er hatte seine Beamten in alle umliegenden Häuser rund um die kleine Kirche geschickt. Kein einziger Augenzeuge war aufgetaucht, niemand hatte etwas gesehen. Und jetzt, drei Tage später, meldete sich plötzlich dieser Pensionist und behauptete, ihn habe bisher niemand befragt.
»Wir waren bei unserer Tochter in Krems und ich habe von dem Mord in der Ruprechtskirche erst heute von meinen Nachbarn erfahren. Da bin ich sowieso gleich zur Polizei gegangen.« Der Pensionist, dessen Wohnungsfenster auf den kleinen Platz schauten, klang entrüstet.
Berner zog sein Notizbuch aus dem Mantel. »Na, dann erzählen Sie mir, was Sie gesehen haben«, forderte er sein Gegenüber auf.
»Also, das war so. Ich wollte die Sendung im Fernsehen nicht anschauen, die meine Frau so gerne hat, Sie wissen schon, dieses …«
»Schon gut«, unterbrach ihn Berner ungeduldig, »Sie standen also am Fenster – und?«
»Da hab ich diesen Wagen gesehen, diese große schwarze Limousine, aus der die beiden Männer ausstiegen und in die Kirche gingen. Ich habe mich noch gewundert, wer um diese Zeit in der Fußgängerzone mit dem Auto unterwegs ist.«
»Wissen Sie, welche Marke es war? Wie haben die Männer ausgesehen?« Berner sah einen Lichtstreif am Horizont seiner Ermittlungen aufsteigen. Vielleicht war noch nicht alles verloren.
»Ich glaube, es war ein Audi, aber beschwören kann ich es nicht. Und die Männer hab ich nicht gesehen, dazu war es zu dunkel.« Der Lichtstreif verschwand wieder so schnell, wie er gekommen war. Wie hätte es anders sein können? Berner verwünschte sich dafür, nicht auf Urlaub gefahren zu sein.
»Und wann war das ungefähr?«
»Na ja, während der Fernsehsendung natürlich, so gegen 21.00 Uhr.«
»Wann fuhr er wieder weg, dieser Wagen? Wissen Sie das noch?«
Der Zeuge senkte den Kopf.« Nein, Herr Kommissar, ich bin vorher wieder zurück zum Fernsehen gegangen, meine Frau wollte, dass ich ihr einen Tee mache und hat mich gerufen.«
Berner fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Er hätte
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