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Ewig

Ewig

Titel: Ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer , David G. L. Weiss
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Umschlag zwischen seinen Fingern, fühlte die Stärke des Papiers, versuchte ihm ein Knistern oder ein anderes verräterisches Geräusch zu entlocken. Vergebens. Er dachte an seinen Sohn, der am Schicksal gescheitert war. Würde ihm das gleiche Los beschieden sein? Würde auch er am Ende nicht mehr an Gott glauben, verzweifeln und sich irgendwo verkriechen, wo ihn keiner mehr finden würde?
    Die Anordnung, den Todesfall in der Ruprechtskirche aus »Staatsräson«, wie es hieß, nur »nachlässig zu verfolgen« und damit eine »wichtige ausländische Macht« zu unterstützen, war von ganz oben gekommen. Dagegen gab es keine Möglichkeit der Opposition. Aber der Umschlag war etwas anderes.
    Nach einem letzten Blick auf das jungfräuliche Kuvert gab er sich einen Ruck. Der Brieföffner, ein Geschenk der World Police Association, glitt mit einem hellen Geräusch durch die Lasche, der Umschlag war offen, doch Sina wagte noch immer nicht, hineinzublicken.
    Dann endlich zog er den Inhalt heraus, es war ein einfaches Blatt Papier, gedrittelt. Er schlug es auf und war verblüfft – da stand gar nichts, das Blatt war unbeschrieben. Er drehte es, besah es sich von beiden Seiten. Ein leeres, weißes Blatt Papier. Er nahm es mit zum Fenster und hielt es gegen das Licht. Nichts. Nicht einmal ein Wasserzeichen war zu sehen. Sina wusste nicht, ob er erleichtert oder verärgert sein sollte. Er schüttelte den Kopf, steckte das Papier wieder in den Umschlag und wollte beides in den Papierkorb unter seinem Schreibtisch werfen, überlegte es sich dann und schob es unter seine Schreibunterlage.
    Er war erleichtert, stellte er fest und atmete tief durch. Als das Telefon klingelte, hob er fast beschwingt ab und meldete sich energisch.
    »Herr Doktor, die Überwachungskamera am Eingang der Fußgängerzone hat gerade einen roten Golf aufgezeichnet, der dem Reporter Paul Wagner gehört«, sagte der Beamte der Verkehrsleitzentrale, »er fährt in Richtung Ruprechtskirche trotz des Fahrverbots.«
    Sina war verwirrt. »Ja, und was ist daran so besonders?«, fragte er.
    »Ihr Sohn sitzt auf dem Beifahrersitz. Wir dachten, das sollten Sie vielleicht wissen«, meinte die Stimme ruhig, bevor der Beamte auflegte.
    Wagner parkte den Golf in Sichtweite der kleinen Kirche direkt unter einem Halteverbotsschild und stieg aus. Georg Sina schaute ihn fragend an, aber der Reporter zuckte nur mit den Schultern. »Wenn schon, denn schon. Berner wird in wenigen Minuten wissen, dass wir hier sind, die verdammten Kameras hängen seit Neuestem überall. Also machen wir ihm die kleine Freude.«
    Beide blickten hinüber zu der kleinen, fast schwarzen Kirche und Georg Sina trottete los, den Kopf gesenkt, die Hände tief in den Taschen vergraben. Wagner schaute auf seine Armbanduhr und wettete mit sich, wie lange Berner brauchen würde, um sie in der Kirche einzuholen. Dann folgte er Sina über den schmalen Platz zur Kirchentür, die geräuschlos aufschwang.
    Diesmal brannten nur wenige Kerzen in der Ruprechtskirche und im grauen Tageslicht, das durch die Bleiglasscheiben fiel, erkannte Wagner Pater Johannes in seiner schwarzen Soutane. Hingebungsvoll damit beschäftigt, Blumen zu wechseln und neue Gestecke vor dem Tabernakel zu platzieren, rauschte der Pfarrer unablässig von einer Seite des Altars zur anderen.
    Sina stand bereits breitbeinig im Mittelgang und schaute zu der Empore hinauf, dann lehnte er sich an eine der Bänke und strich sich über den Bart. »1439 war das Jahr, als Kaiser Friedrich in Wien einzog«, sagte er leise, als Wagner neben ihm stand und ebenfalls die Empore betrachtete. Er las die fünf Buchstaben gefolgt von der Jahreszahl.
    »Und dafür bringt man jemanden um?« Wagner schaute Sina von der Seite an und bemerkte, dass sein Freund tief in Gedanken versunken war.
    »Friedrich war ein seltsamer Mensch, voller Gegensätze, so erzählt man es jedenfalls. Ich war mir da nie so sicher.« Sina blickte sich schnell in der Kirche um, so als befürchtete er, belauscht zu werden. »Er liebte Geheimschriften, doppeldeutige Rätsel, die ihre wahre Lösung erst dann preisgaben, wenn man auf mehreren Gedankenstufen gleichzeitig dachte und sich nicht mit dem Vordergrund, der Oberfläche zufriedengab. Er war ein durch und durch moralischer Mensch, ein gnadenloser Realist, der letzte in Rom vom Papst zum Kaiser gekrönte deutsche König, dem aber das Regieren nicht so wichtig schien. Er war geizig und sammelte trotzdem Edelsteine. Er war penibel und

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