Ewig
haben zwar bis heute rund dreihundert Deutungen, von der absurdesten bis zu einer Reihe von möglichen. Endgültig weiß man gar nichts. Ob ›Austria Erit In Orbe Ultima‹ oder › Alles Erdreich Ist Oesterreich Untertan‹ oder andere, wir wissen nicht einmal, warum oder wofür Friedrich die Buchstaben verwendete.« Sina blätterte weiter in dem braunen Buch auf seinem Schoß. Die Seiten knisterten unter seinen Fingern und plötzlich blickte er auf. »Er hat es gewusst«, sagte er nur.
»Wer hat was gewusst?« Wagner hatte sich nie an die Gedankensprünge seines Freundes gewöhnen können. Er verglich sie immer mit einem Libellenflug über die Wasseroberfläche eines schilfbewachsenen Sees, unvorhersehbar und abrupt.
»Der Mörder wusste, dass die Polizei mit den Hinweisen nichts anfangen würde.« Sina dozierte mit erschreckend klarer Logik. »Das wollte er auch gar nicht. Die Polizei nahm er in Kauf, aber sie störte ihn nicht. Er wusste, wer sofort am Tatort erscheinen würde. Es ging nicht um Berner.«
Wagner kam zum Lehnsessel und schaute Sina fragend an. »Sondern?«
Der Wissenschaftler lächelte dünn, zum ersten Mal seit langer Zeit. »Es ging um dich.«
Lissabon – Almouriel/Portugal
D er Tejo starb in seinem Unterlauf an diesem Nachmittag und mit ihm alles Leben im Wasser zwischen Almouriel und dem Meer. Der Alarm von Miguel Almeida war kaum bis zum Umweltschutzministerium in Lissabon vorgedrungen, da ergossen sich die Massen toter Fische schon bis in die Mündung des Tejo und trieben aufs Meer hinaus. Das Nervengift leistete ganze Arbeit, in rasend schneller Zeit und mit einer teuflischen Effizienz.
Als die portugiesischen Behörden den Kampf aufnahmen, konnten sie nur mehr den Schaden begrenzen. Erste Untersuchungen des Wassers und der Fischkadaver riefen binnen weniger Stunden Spezialisten für chemische Kampfwaffen auf den Plan, die versuchten, den Ursprung des Super-Gaus zu lokalisieren. Sie fuhren in Schutzanzügen mit ihren Booten den Tejo hinauf, gefolgt von Schlauchbooten der Armee und der Polizei. Dann kamen in größerem Abstand Boote der Presse und der Fernsehstationen. CNN richtete eine Satelliten-Übertragungsstrecke direkt am Flussufer ein.
Als der Abend dämmerte, war die Vorhut in Almouriel angelangt. Die sensiblen Messinstrumente bewiesen schnell, dass weiter flussaufwärts keine Vergiftungen mehr vorhanden waren. Die Schadstoffwerte sanken binnen weniger Meter auf Null. So konzentrierte sich alles auf die kleine Insel im Tejo, als Dutzende Boote am Ufer festmachten und die Experten auf die Suche gingen. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Was sie fanden, schockierte selbst hartgesottene Kriminalisten. Minuten später wusste es die ganze Welt.
CNN berichtete live und bis auf Bilder der toten Touristin, die man aus Pietätgründen nicht sendete, wurde die Katastrophe bis in die letzten Ecken der zivilisierten Welt medienwirksam via Satellit vermarktet. Die ersten Berichte mit Aufnahmen der toten Fische und der zahlreicher Scheinwerfer, die Almouriel in gleißendes Licht tauchten, füllten die Fernsehkanäle, als der Unbekannte in der Botschaft gerade sein Abendessen beendet hatte und auf sein Zimmer ging, wo die Sekretärin des Botschafters schon auf ihn wartete.
Bevor er einschlief, klingelte das Telefon in seinem Appartement. »Das Zentralbüro ist mit Ihrer Arbeit sehr zufrieden«, stellte eine Stimme am anderen Ende der Welt fest. »Die vereinbarte Summe wurde soeben auf Ihr Konto überwiesen. Wir rechnen mit Ihrer weiteren erfolgreichen Mitarbeit.«
Der Unbekannte legte wortlos auf. Erfolg war sein Markenzeichen.
Kapitel 3 – 10.3.2008
Innere Stadt, Wien/Österreich
P olizeipräsident Dr. Walter Sina hatte auf seinem Schreibtisch zwei Tage lang das weiße Kuvert von links nach rechts und wieder zurück geschoben, ohne es zu öffnen. Er hatte es in den untersten Schubladen verstaut und dann wieder hervorgeholt, voller Unruhe und Vorahnungen. Niemals, auf seinem ganzen Weg vom Verkehrspolizisten bis zum höchsten Beamten der Wiener Polizei, niemals hatte er sich bestechen lassen, nie ein noch so kleines Geschenk angenommen und jetzt … Er hatte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, dass sein Gewissen ihn so quälen, seine Gedanken so gebannt an dem weißen Umschlag heften würden. War es das wert? War irgendeine Summe, irgendein Vorteil dieses Gefühl wert, sich selbst nicht mehr in die Augen schauen zu können, wenn er sich am Morgen rasierte? Er drehte den
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