Ewig
der Grund für meine Bedenken«, gab er zurück, »ich habe nur Angst, dass wir möglicherweise einen Stein zerbrechen könnten, wenn wir nicht das richtige Werkzeug haben.« Der General beruhigte ihn.
»Für diese Art von Fassung sind keine speziellen Werkzeuge vonnöten«, stellte Li Feng fest und nahm den Pokal in die Hand. »Nach den Informationen von Mr. Gavint ist das Geheimnis in oder hinter einem Stein verborgen«, sagte er leise und drehte den Kelch, um ihn von allen Seiten zu betrachten.
»Und wie sieht das Geheimnis aus?«, erkundigte sich der Militärattaché.
»Das wusste auch Mr. Gavint nicht«, erwiderte Li Feng, »er sprach von einem Stein in einem Pokal oder etwas hinter einem Stein. Mehr Einzelheiten hatte auch er nicht.«
»Dann lassen Sie uns anfangen«, forderte Weng Huan den General ungeduldig auf.
Flughafen Wien-Schwechat/Österreich
D ie weiß-rote Gulfstream G100 landete genau um 9:25 Uhr auf dem Wiener Flughafen. Das Charterflugzeug war mit nur einem Passagier besetzt. Fred Wineberg hatte sich den Flug mehr als 100.000 Dollar kosten lassen, nachdem es keine andere schnelle und direkte Verbindung von Palm Beach nach Wien gegeben hatte. Alle Linienflüge waren ausgebucht oder machten eine oder zwei Zwischenlandungen. Erst nach hektischen Telefonaten war es Elena Millt gelungen, eine Crew aufzutreiben, die sofort bereit war, über den Atlantik zu fliegen und auf die Wünsche ihres exzentrischen Fluggastes einzugehen. Die Gulfstream, die normalerweise eine bequeme Reisemöglichkeit für sechs bis acht Personen bot und nun nur mit einem schmalen, hageren alten Mann besetzt war, hatte die Strecke in weniger als elf Stunden geschafft, nachdem Wineberg von den Piloten die schnellstmögliche Route gefordert hatte.
Als er in Wien-Schwechat die Gangway hinunterstieg, fühlte er sich bestens, besser als in den letzten Wochen und Monaten. Er hatte bis auf eine Stunde nach dem Start den gesamten Flug verschlafen und die frische, kühle Luft in Wien weckte seine Lebensgeister. Fast genau siebzig Jahre waren vergangen, seit er zum letzten Mal in Österreich war und die Aussicht darauf, noch einmal seine alte Heimat zu sehen, schickte Adrenalinstöße durch seinen Körper.
Die Passkontrolle war eine reine Formalität und der Wagen eines Privaten Shuttle-Service brachte Wineberg in die Innenstadt, ins Hotel »Sacher« hinter der Staatsoper. Elena Millt hatte eine Executive Suite reservieren lassen und Wineberg fand die sechzig Quadratmeter angemessen.
Auf seiner Fahrt ins Herz der Stadt hatte der greise Mann den Chauffeur immer wieder kurz anhalten lassen, war ausgestiegen und in seiner Erinnerung spaziert. Er fand alte Plätze, an die er sich erinnerte und andere, die er nicht wiedererkannte. Ein ganzes Menschenleben war vergangen seit den dreißiger Jahren, seit er Alfred Wimberger begraben und seine schwangere Frau zurückgelassen hatte, angesichts der Nationalsozialisten, die vor den Toren Österreichs standen. Er hatte den Aufstieg Hitlers miterlebt und bereits in Gedanken seine Koffer gepackt, hatte die Unruhen in der Ersten Republik am eigenen Körper verspürt und war über Nacht verschwunden – verschwunden aus seinem Leben als Buchhalter, aus seiner Ehe, aus seinem gewohnten Umfeld, aus der gemeinsamen Wohnung in der Czerningasse in Wien-Donaustadt. Er hatte alles zurückgelassen und nichts mitgenommen außer einem Schiffsticket und ein paar Diamanten, die ihm sein Onkel vererbt hatte, als er fünfzehn Jahre alt war. Der Koffer blieb da, wo er war, gepackt auf dem schmalen Schrank im Schlafzimmer. Seine Frau hatte er nie mehr wiedergesehen, kein Foto seines Kindes verlangt und bekommen, seiner Familie nie wieder geschrieben.
Mit dem neuen Namen kam das Vergessen, das Verdrängen, das Negieren. Alfred Wimberger war tot, es lebe Fred Wineberg, der Reporter im Großstadtdschungel New Yorks. Amerika hatte ihn groß gemacht und das vergaß er ihm nie. Aber heimisch war er nirgends geworden. Wineberg war zeit seines Lebens ein Vertriebener geblieben und ein Getriebener geworden.
Als er endlich vor dem Riesenrad im Prater stand, da wurde ihm plötzlich klar, dass er nach Hause zurückgekehrt war. Wien hatte immer alle Heimkehrer mit offenen Armen begrüßt und so hieß es auch Alfred Wimberger willkommen. Und seit er denken konnte, weinte er das erste Mal, mitten auf offener Straße.
Im Hotel »Sacher« dann legte er sorgfältig die beiden Mappen nebeneinander auf den Schreibtisch der Suite.
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