Ewig
das Trommeln eines Spechtes und das entfernte Rufen eines Kuckucks.
»Auch wenn Sie der Historiker in der Runde sind«, begann Gavint lächelnd an Sina gewandt, »vielleicht lassen Sie mir den Vortritt bei den Einzelheiten dieser ehrwürdigen Stätte?« Der Wissenschaftler nickte und dann spazierten er und Paul gemeinsam mit dem eleganten Mann auf die Mauern zu, während Valerie beim Wagen geblieben war und telefonierte. Eine Kirchenglocke in der Nähe läutete elf Uhr. Gavint sah mit seinem langen Mantel und den auf Hochglanz polierten Schuhen auf der staubigen Forststraße deplaciert aus. Georg musste aber zugeben, dass er jede Menge interessante Details der Klostergeschichte kannte.
»Der Bettelorden der Franziskaner hat sich vor allem im 15. Jahrhundert von den großen Städten abgewandt und sich Plätze in abgelegenen Gegenden gesucht, um seine Klöster zu errichten. So war es auch beim ehemaligen Kloster St. Laurentius hier, das 1436 gegründet wurde und bis 1529 bestand.« Gavint hatte die Hände auf den Rücken gelegt und schien die Rolle des Historikers zu genießen. »Der Tod kam am 26. September 1529 in der Gestalt des türkischen Halbmondes, der schon Friedrich zu schaffen gemacht hatte und drei Jahre zuvor in der Schlacht bei Mohacs das Königreich Ungarn vernichtet hatte«, dozierte er.
Georg ergänzte: »Der Kaiser gründete zur Bekämpfung der türkischen Gefahr seinen Ritterorden St. Georg, der aber auch nicht wirklich erfolgreich war.«
Der Südafrikaner nickte. »Ja, das Symbol des Kampfes gegen den Drachen, der in dem Fall die Andersgläubigen waren«, fuhr er fort. »Den Angriff der türkischen Streifschar auf das Kloster an jenem späten Septembertag überlebte jedenfalls keiner der zweiundzwanzig Mönche. Nur ein Jahr später wurde der Entschluss gefasst, den einsamen Platz und die Gebäude völlig aufzugeben.«
»Angesichts der verlassenen Gegend müssen die Türken das Kloster aus Zufall gefunden haben, so versteckt wie es hier hinter den Hügeln am Bach liegt. Warum bringt jemand zweiundzwanzig harmlose Mönche um?«, wunderte sich Wagner.
Gavint nickte lächelnd. »Sie werden gleich merken, warum«, antwortete er. »Im Jahr 1839 begann ein geschichtskundiger Pfarrer mit Vermessungen und Grabungen. Man vermutet, dass er sein Wissen aus alten Papieren und Dokumenten des Ordens hatte, die er in einer Kiste versteckt auf dem Dachboden seiner Kirche gefunden hatte. Wie auch immer, er soll sogar in die bis dahin versteckten Kultkammern und Grüfte in der Nähe des Klosters vorgedrungen sein und es sieht so aus, als habe er die heute verschüttete Krypta der Kirche ebenfalls geöffnet.« Er blickte Paul und Georg nacheinander an. »Vergessen Sie nicht, dass dieses Kloster offiziell St. Laurentius im Paradies hieß und aufgrund einer Schenkung zustande kam, nämlich von Kaiser Friedrich höchstpersönlich. Und so ist es nicht verwunderlich, dass der Pfarrer in der Krypta eine Tafel fand mit AEIOU und einer Jahreszahl 1455, dem Baubeginn der Anlage.«
Wagner und Sina waren bereits am Kombinieren, aber Gavint kam ihnen mit seiner Erklärung zuvor.
»Bei näherer Untersuchung stellte der Pfarrer fest, dass die Inschrift nicht nur eine einfache Datierung war, sondern die Zahl 144 verschlüsselte. AEIOU MCCCCLV. Er musste nur den Zahlenwert 51 des AEIOU, wie es im Rechnen mit römischen Zahlen üblich ist, vom Jahr 1455 abziehen und das Ergebnis war 1404. Die Null in 1404 symbolisierte das, was sie war – nichts. Er ignorierte sie folgerichtig und heraus kam die Zahl 144.« Der Südafrikaner hob abwehrend die Hände, lächelte ironisch und sah Wagner und Sina herablassend an. »Ich bin nicht so gescheit, aber man fand eine Zeichnung mit Erklärungen in den Unterlagen des Pfarrers nach seinem Tod.«
Gavint verstummte und blickte sich unbehaglich um. Da war schon wieder dieses Kribbeln zwischen seinen Schulterblättern. Aber alles war ruhig und niemand war zu sehen, außer der Frau, die weit hinter ihnen den Pilgerweg entlang lief und schwungvoll ihre zwei Stöcke schwang.
»Und woher wissen Sie das alles?«, erkundigte sich Paul Wagner misstrauisch.
Gavint machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sagen wir, ein paar befreundete Wissenschaftler haben das und mehr vor fast zwanzig Jahren herausgefunden, konnten aber nichts damit anfangen. Ich muss gestehen, ich kann es bis heute nicht.« Gavint bemerkte zufrieden, dass diese Lüge keinem der beiden auffiel.
Valerie lehnte mit zitternden Knien
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