Ewig
jedes verdächtige Geräusch, aber außer dem Hubschrauber, der langsam das Kloster umkreiste, war nichts zu hören. Alle Gänge waren leer.
Da der linke Teil des Klosters völlig eingestürzt war und alle anderen Räume durchsucht worden waren, blieb nur mehr das Erdgeschoss, um die Mönche zu finden. Irgendwo hier musste die Hauptversammlungshalle sein, dachte sich Li Feng, als er in der Mitte des Hauptganges neben der zerstörten Treppe eine große rote Tür entdeckte, die nur angelehnt war. Mit zwei Handbewegungen postierte er seine Männer links und rechts davon und zog seine Pistole. Dann gab er dem Türflügel einen festen Tritt und sprang, sich über die Schulter abrollend, durch die Öffnung. Er landete auf einem glänzenden Teakholzboden, den Generationen von Mönchen blankpoliert hatten. Es roch nach Wachs und Räucherstäbchen, nach alten Stoffen und feuchten Wänden. Als sich Li Feng aufrichtete, sah er ein seltsames Schauspiel vor sich. In einem Halbkreis saßen reglos betende Mönche im Lotos-Sitz, die Hände gefaltet und mit weißen Schals zusammengebunden. Sie blickten nicht auf, bewegten sich nicht. Li Feng wunderte sich, dass er kein Gebetsgemurmel hörte. Alles war zu ruhig, zu friedlich.
Die Fallschirmjäger kamen einer nach dem anderen in den großen Gebetsraum und blieben stehen, als sie die betenden Mönche sahen, aber sie hielten ihre Waffen im Anschlag. Für einige Augenblicke rührte sich niemand. Nur das Atmen der Soldaten war zu hören.
In Li Feng wuchs ein furchtbarer Verdacht, der so unerhört war, dass er es nicht einmal wagte, ihn zu Ende zu denken. Er zögerte zuerst, dann ging er rasch zu einem der mit gesenktem Kopf betenden Mönche und legte seine Finger auf die Halsschlagader des jungen, kahlgeschorenen Mannes. Kein Puls war zu spüren. Eine eiserne Hand schien nach Li Feng zu greifen und drückte seinen Brustkorb zusammen. Das Atmen fiel ihm schwer und die furchtbare Gewissheit seiner Niederlage fuhr wie Blei in seine Glieder. Schlafwandlerisch ging der General zum nächsten Mönch und dann zum nächsten. Alle waren tot, vereint in einem gemeinsamen letzten Gebet. Li Feng ließ die Pistole sinken und sah all seine Pläne durchkreuzt. Gegen den Tod, den er so gerne besiegt hätte, war selbst er machtlos. Hier würde er das Geheimnis nicht mehr finden. Seine Männer standen stumm und ratlos am Eingang der Halle. Der Kampf war entschieden, aber gewonnen hatten sie nichts.
Einer der Mönche saß etwas abseits der übrigen, es war der Abt des Klosters, der eine Gebetskette aus großen weißen Perlen trug. Wütend gab Li Feng dem Toten einen Tritt, der ihn hintenüberstürzen ließ. Das Gesicht des Abtes war friedlich und entspannt und er schien zu lächeln, wie um die chinesischen Eindringlinge zu verhöhnen.
Li Feng drehte sich abrupt um, verließ den Gebetsraum mit großen Schritten und gab seinen Männern das Zeichen, ihm zu folgen. Sie traten durch eine Tür ins Freie, versanken bis zu den Hüften im Schnee, den der Wind entlang der Mauern aufgeschichtet hatte.
Als die Mi24 »Hind« einschwebte und alle an Bord nahm, war die Sonne bereits hinter der westlichen Bergkette verschwunden. Die Rotorblätter peitschten den Schnee auf und wirbelten ihn zu kleinen Tornados. Wie ein wütend fauchender Schneetiger preschte die »Hind« davon, hinunter ins Tal, zurück nach Lhasa.
Mit der Kälte des Abends kehrte wieder Ruhe ins Kloster ein. Von einem der Fenster im rechten Turm löste sich ein kleiner Bergfalke und begann, seine Kreise zu ziehen, erst über den verwüsteten Teil des Klosters, dann flog er immer näher an den Eingang. Schließlich segelte er durch ein offenes Fenster im Erdgeschoss und durch die rote Tür in den Hauptversammlungsraum. Er landete auf einem kleinen Podest und blickte mit wachen Augen über die versammelten toten Mönche. Dann hob er nochmals ab und landete auf der Brust des Abts, schlug seine Krallen in die orange Kutte, nahm mit seinem Schnabel vorsichtig die aufgefädelten Perlen der roten Gebetskette und legte sie dem Abt quer über den offenen Mund. Der kleine Bergfalke schien sein Werk kurz zu betrachten, dann spreizte er die Flügel, flog auf und fand sicher seinen Weg ins Freie.
Burg Grub, Waldviertel/Österreich
G eorg Sina war schweigsamer als üblich und las bereits seit mehr als einer Stunde in einem Buch mit dem Titel »Maße und Gewichte von der Antike bis heute«. Paul Wagner hatte erfolgreich das Sofa von Tschak erobert und sich darauf
Weitere Kostenlose Bücher