Ewig
Über ein Dutzend hatte sie ihm geboren, viele mussten sie schon begraben. Liebte sie ihren Mann? Immerhin hatte ihr Bruder sie dem »Verräter Leopold« zur Braut gegeben … Doch nach Jahrzehnten neben ihm kannte Agnes die Antwort. Gedankenverloren betrachtete sie die Altersflecken auf ihrer Hand, die den Zügel hielt. Ja, sie liebte ihren Ehegatten, aber nicht so sehr wie ihren Sohn, den jungen Leopold. Trotzte ihr Mann noch so standhaft dem Alter, jetzt war es an der Zeit, junges, energisches Blut an die Macht und nach Regensburg zu bringen …
Markgraf Leopold erblickte endlich auf einer Lichtung vor sich das waidwunde Tier, die Hauer blutverschmiert, selbst aus tiefen Wunden schweißend. Die Hunde hielten den Eber in Schach, wagten jedoch selbst keinen Angriff mehr. Nun war es an dem Jäger, den Tod zu bringen. In sicherer Entfernung ließ Leopold seinen Schimmel tänzeln und zu Atem kommen. Bedächtig wog er die Saufeder in der Hand, sorgfältig nahm er Maß und zielte. Er ließ sich Zeit, er hatte schließlich genug davon. Dann schnellte er plötzlich vor. Mit schauerlichem Quieken sackte der Keiler zusammen, brach tödlich getroffen zu Boden.
Der Markgraf stieg ab. Die Hunde begrüßten aufgeregt, mit den Schwanzstummeln wedelnd, ihren Herrn. »Ihr habt es gut …«, sprach Leopold mit gefasster, beruhigender Stimme, »fürchtet den Tod nicht und beklagt eure Toten nicht.« Zärtlich tätschelte er die Köpfe seiner Tapferen. Die besten und treuesten von ihnen hatte er, wie so oft schon, verloren. Leopold blickte sich um, suchte die zerfetzten Leiber seiner Lieblingshunde. Als er sie fand, wandte er sich ab. Er wusste, warum er Gemetzel vermied, egal wo und wie. Der Preis dafür war immer zu hoch.
Das Wiehern eines Pferdes riss ihn aus seinen Gedanken, er blickte auf und erkannte seinen Sohn Leopold, der sich aus dem Sattel schwang. Etwas an ihm irritierte den Markgrafen. Nicht der gewohnte Blick, nicht die vertraute Miene, aber sein Sohn erschien ihm seltsam angespannt. Der alte Markgraf hatte diese Miene schon einmal gesehen, auf den Gesichtern der Ministerialen, damals auf jenem vermaledeiten Reichstag. Es war, bevor sie den unglücklichen Sieghart vor aller Augen erschlugen.
Der junge Leopold zog wortlos sein Schwert und ging ohne zu zögern auf seinen Vater zu. Der Markgraf blickte sich um. Der Wald schloss ihn ein, das Unterholz um die Lichtung war undurchdringlich. Seine Hunde schlugen nicht an, schnupperten nur hier und dort oder leckten die Wunden des erlegten Wildes. Keiner von ihnen stellte sich schützend vor seinen Herrn. Leopold spuckte verächtlich auf den Boden und brüllte seinen Sohn an. Der zögerte, seine Augen rasten unschlüssig nach Halt suchend hin und her. Da sprang der Markgraf vor und schlug mit seiner Faust zu. Er überragte seinen Sohn um fast zwei Fuß, so dass ihn der schwere Schlag meterweit ins Gestrüpp schleuderte. Ich will mein Kind nicht töten, dachte Leopold, aber lange werde ich mich gegen ihn nicht behaupten können.
Der junge Leopold hatte bei dem Sturz ins Gebüsch sein Schwert verloren. Auf allen vieren kroch er aus dem Unterholz, wand sich wie ein geprügelter und winselnder Jagdhund zu Füßen des schwer atmenden, hoch aufragenden Vaters. Der würdigte ihn keines Blickes, stieg über ihn hinweg und begrüßte seinen Sohn Heinrich, der gerade abgehetzt auf der Lichtung eingetroffen war, über und über mit Morast verschmiert.
»Verzeiht, Vater, ich bin gestürzt!«, presste Heinrich hervor und senkte den Blick.
»Es ist gut, mein Sohn«, sagte Leopold und klopfte ihm auf die Schulter, blickte sich um.
»Hörst du, die Jagdgesellschaft wird auch bald hier sein. Wo waren sie nur so lange?« Der alte Markgraf lachte und beugte sich vor, spähte in die Richtung, aus der die Geräusche der Nachzügler näher kamen. Dabei griff er wie beiläufig an seinen Gürtel und zog ein Ledersäckchen heraus, das er Heinrich reichte. »Das wirst du brauchen, möchtest du mich beerben«, flüsterte der alte Markgraf seinem Sohn zu und lächelte sanft.
Es waren seine letzten Worte. Mit einem knirschenden Geräusch fuhr das blutverschmierte Blatt der Saufeder dem Markgrafen durch den rechten Unterkiefer in den Schädel und die Spitze grub sich tief in den Knochen. Ohne einen Laut sackte Leopold zusammen. Heinrich fing den zuckenden und stürzenden Körper seines Vaters auf, der ihn mit zu Boden riss. Das heiße Blut spritzte ihm ins Gesicht und rann über seine Hände wie
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