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Ewig

Ewig

Titel: Ewig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer , David G. L. Weiss
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Motorrad zu steigen.
15. November 1136, Klosterneuburg/Österreich
    D er Eber rannte um sein Leben, eine heulende und bellende Meute riesiger Hunde im Nacken. Von den peitschenden Ästen aufgeschreckte Vögel stoben durch die Wipfel des herbstlichen Auwaldes. Wütendes Bellen und Keuchen erfüllte das Unterholz nahe der Abtei und markgräflichen Residenz Klosterneuburg im Norden von Wien.
    Die Buchfinken und Meisen flogen im hellen Schein der Sonne auf und davon, auf der Suche nach einem ruhigeren Fleckchen. Von der Luft aus sahen sie nur die undurchdringlichen, in hunderten Farbnuancen schimmernden Kronen der uralten Bäume, die silbern glitzernden Windungen der Nebenarme der Donau und die gewaltige Baustelle der Pfalz und der Klosterkirche, wo sich ächzend und krachend die Tretmühlen drehten, um Kreuzrippen aufzuwölben und Stein auf Stein zu schichten zur höheren Ehre Gottes und ihres Erbauers auf Erden.
    Der feuchte Waldboden, über den die Jagd nun schon seit Minuten tobte, lag im Halbschatten. Nur gelegentlich fiel ein sonniges Strahlenbündel durch eine Öffnung im Astwerk oder traf an einer Lichtung den von Dickicht und welkem Laub bedeckten Grund. Wie die Stäbe eines Käfigs ragten die dunklen Stämme der Bäume auf. In die Enge getrieben sah der Eber keinen Ausweg mehr, zu dicht waren ihm die Verfolger auf den Fersen. Er schrie auf, sträubte die Nackenborsten, stemmte die Hufe in den Boden und stellte sich den Angreifern, die ihm nicht einen Moment der Ruhe gönnten. Schon stürzte der erste schwarz und braun gefleckte Jagdhund aus dem Unterholz auf ihn los. Es war ein riesiger Rüde mit kupierten Ohren und einem schweren Halsband aus Eisen, von dem geschmiedete Stacheln abstanden. Der Eber ließ abermals wütend seine Stimme hören, der weiße Geifer tropfte ihm aus dem Maul. Seine Hauer waren drohend nach vorne gereckt.
    Der Hund zögerte einen Moment zu lange und der Keiler griff an. Mit seinem mächtigen Schädel schleuderte er den Saurüden wie eine Puppe durch die Luft. In diesem Augenblick fiel der Rest der Meute das mächtige Wildschwein an. Gnadenlos schlugen sie ihre Zähne in sein Fleisch, doch der Eber wehrte sich erbittert. Ein heftiger Kampf entbrannte, Wut- und Schmerzenslaute zerrissen die Ruhe des Herbstwaldes.
    Markgraf Leopold von Österreich preschte auf seinem schweren Ross den wendigen Hunden hinterher. Der weiße Hengst keuchte und sein Nacken dampfte, doch Leopold achtete nicht darauf, immer die Klagelaute seiner Meute von Lieblingshunden in den Ohren. Äste peitschten ihm Körper und Gesicht, aber unbeirrt gab er dem Pferd die Sporen, trieb es vorwärts durch Schlamm und Unterholz. Er jagte durch den Wald und vergaß sein Gefolge. Es kam ihm wie immer nicht hinterher, zu schnell und zu riskant war seine Jagd durch das dichte Holz.
    Leopold trieb sein Pferd ungeduldig vorwärts. Aus den Augenwinkeln sah er, wie ein Reiter anfangs versuchte mit ihm Schritt zu halten, zurückfiel und dann mit seinem Ross gegen einen Baum prallte und in den Schlamm geschleudert wurde. Es war sein Sohn Heinrich. Wer sonst, dachte sich der Marktgraf verzweifelt, während sich der gefallene Reiter bemühte, wieder auf die Beine zu kommen. Seine Mutter Agnes trabte gerade an ihrem Sohn vorbei, als der sich über und über mit Kot bedeckt auf die Füße kämpfte. Auf dem rutschigen Boden glitt er mehrmals aus, fiel wieder und wieder zurück in den matschigen Morast. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Die Mutter las Scham, Verzweiflung und die Suche nach Hilfe in den Augen ihres ältesten Sohnes. Angewidert wandte sie sich ab. Ihr zweiter Sohn Leopold stand daneben, schaute spöttisch seinem Bruder zu und wartete.
    »Leopold, folge deinem Vater!«, rief sie ihm zu, so laut, dass der schmutzige Heinrich es hören konnte. Sie war sich der doppelten Bedeutung ihrer Worte bewusst. Sofort gab Leopold seinem Pferd die Sporen und preschte los.
    Agnes sah ihm nach und ihre Miene verfinsterte sich. Ob er Leopold, seinen Vater, wohl einholen würde, der junge Sohn den alten Vater? Der Markgraf war schon siebzig Jahre alt, sein Sohn, der junge Leopold, der Principatus terrae, wie er sich selbst betitelte, zählte kaum die Hälfte an Jahren.
    Markgraf Leopold von Österreich sah man sein Alter nicht an. Sechs Fuß groß, von muskulöser Statur, stets aufrecht, beneidenswert gesund und voller Zuversicht. Er würde sie alle überleben, überlegte Agnes, sie selbst, alle Feinde und … seine Kinder.

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