Ewig
eine rote Kaskade. Er wollte schreien, aber kein Laut entfuhr seiner Kehle. Heinrich war erstarrt, schloss und öffnete den Mund, japste und keuchte wie ein Erstickender und bekam doch keine Luft. Er starrte auf seine blutbesudelten Hände und in Panik kroch er von der Leiche fort, nur fort, tiefer und tiefer ins Unterholz. Das letzte, was er von seinem Vater sah, war das Lächeln, das noch immer auf seinem Gesicht lag und der Jagdspeer, der aus einem Kiefer ragte.
Aus dem Versteck beobachtete er mit irrem Blick seinen Bruder Leopold, den Vatermörder, wie er dem Schimmel des Markgrafen ungerührt mit einem Jagdmesser die Sehnen an den Hufen durchschnitt. Das Pferd schrie und stürzte.
Heinrich sah alles nur mehr wie durch einen dichten Nebel. Im nächsten Moment füllte sich die Lichtung mit Leben, die Jagdgesellschaft war eingetroffen. In das Wiehern und Stampfen der Pferde mischten sich sogleich Entsetzensschreie. Agnes blieb im Sattel und musterte von oben mit kaltem Blick erst ihren Sohn Leopold, das sich am Boden krümmende Pferd und dann ihren toten Mann.
»Welch ein entsetzliches Unglück!«, rief sie. »Der Markgraf ist bei der Jagd gestürzt!« Ritter, Pagen und Hofdamen blickten sich in stummem Einvernehmen an.
Ein Jäger beugte sich über den leblosen Körper des Markgrafen. »Der Herr ist … Der Herr ist tot«, verkündete er mit heiserer Stimme. Agnes, immer noch zu Pferd, gab einem Edelmann mit dem Kopf ein Zeichen. Der trat sofort zwischen den toten Markgrafen und den jungen Leopold und brüllte, während er den Arm des neben ihm stehenden Nachfolgers hob: »Der Markgraf ist tot! Es lebe der Markgraf! Lang lebe Leopold IV.!«
»Lang lebe Leopold IV.!«, wiederholte die Gesellschaft. Agnes lächelte zufrieden.
Niemand würdigte Heinrich eines Blickes, der sich noch immer gänzlich unbemerkt in dem dichten Gebüsch verkroch und wie versteinert dasaß, unfähig, einen Ton hervorzubringen. Seine schmutzigen Finger hielten den ledernen Beutel umkrampft, den ihm sein Vater im Angesicht des Todes ausgehändigt hatte. Völlig benommen verfolgte er als Erstgeborener das Spektakel der Nachfolge für seinen Bruder. Ein Jagdhund gesellte sich zu ihm und leckte ihm das Gesicht. Heinrich zitterte am ganzen Körper. Mehr zu sich als zu dem Hund, der ihn aus seiner Trance geweckt hatte, murmelte er, was er zeit seines Lebens in Momenten größter Anspannung geistesabwesend wiederholen würde. Dabei presste er den Beutel fest an sein Gesicht:
»Den Frevel büßt ihr mir. O ja, so wahr mir Gott helfe! Ja, so mir Gott helfe. Ja, so mir … Gott …«
Stift Klosterneuburg/Österreich
D er Weg von der Remise nach Klosterneuburg war lang und Sina zweifelte, ob sie jemals lebend ankommen würden oder ob Paul jetzt und hier den Bewahrern die Arbeit abnehmen wollte und sie auf zwei Rädern ins Paradies befördern würde. Als der Reporter schließlich auf dem Hauptplatz von Klosterneuburg den Zündschlüssel der Suzuki abzog und die Maschine leise knisternd abkühlte, lehnte sich Georg Sina erschöpft an die nächste Wand, zog den Vollvisierhelm ab und atmete tief durch. So schnell, da war er sich sicher, war er noch nie auf öffentlichen Straßen unterwegs gewesen.
Wagner parkte die GSX-R, schaute zufrieden auf die Uhr und stapfte los in Richtung Stiftsmuseum. Er war mit sich und der Leistung des Motorrades zufrieden, spazierte leichtfüßig über den Platz und drehte sich nach einigen Schritten nach Georg Sina um, der ihm in einiger Entfernung folgte. Der Wissenschaftler hatte ein gummiartiges Gefühl in den Knien und überlegte ernsthaft, sich am Bahnhof eine Fahrkarte für die Rückfahrt nach Wien zu lösen. Er schmeckte aufsteigende Magensäure auf seiner Zunge und unterdrückte nur mit Mühe den Brechreiz.
Gott im Himmel, wie kann man nur so fahren, durchfuhr es ihn und er schüttelte sich, sah vor sich Wagners federnde Schritte und hörte sein beschwingtes Pfeifen. Na, wenigstens geht es einem von uns beiden nach dem Höllenritt besser, dachte er und musste wieder einmal aufstoßen, es ist schon beneidenswert, wie Paul mit dem Motorrad umgehen kann. Die Welt auf zwei Rädern zu entdecken war definitiv nicht seine Lebensart. Er sehnte sich nach seinem Haflinger und der Ruhe seiner Burgruine im Waldviertel. Andererseits war vielleicht dieses Zweirad jene Art von Lebensversicherung, die sie gerade jetzt dringend brauchten. Auch wenn er davon weiche Knie und einen nervösen Magen bekam.
Ohne sich umzudrehen,
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