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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Mwanga sei ein äußerst seltenes Edelmetall gefunden worden, das von der Rüstungsindustrie der USA für die Fertigung des Gyroskopmechanismus von Flugkörpern gebraucht wurde. Die Ausbeutung der Entwicklungsländer ginge also weiter, aber diesmal schlüge die G1 rechtzeitig zu, indem sie das gesamte Vorkommen durch eine unterirdische Atomexplosion zerstörte. Das wäre der größtmögliche Schlag, mit dem ein neues Zeitalter in der Aktivistenbewegung anbräche.
    Ralf log Noora nicht gern an, aber in diesem Fall war es unumgänglich.

39
    Timo saß auf der Rückbank eines mit Isolierband, Schnur und selbst zurechtgebogenen Blechteilen geflickten Peugeot-Taxis und sah auf die dunklen Straßen hinaus. Anfang der 60er Jahre hatte man Lubumbashi das Paris Afrikas genannt. Jetzt verkauften hier bettelarme Menschen vor den Fassaden verlassener, geplünderter Villen aus der Kolonialzeit Stofffetzen und Kohle.
    Das Taxi hielt vor dem Hotel de Suez. Timo gab dem schweigsamen, misstrauisch wirkenden Fahrer, einem jungen Mann ohne einen einzigen Zahn im Mund, das Geld für die Fahrt. Träge setzte sich das Auto wieder in Bewegung, die Abgase, die aus dem Auspuff quollen, vermischten sich mit dem süßlichen Duft, der in der Nachtluft lag.
    Timo sah sich verstohlen um. In dieser Stadt war jede Sekunde auf der Straße ein Risiko. Vor einem Nachtclub mit dem Namen L’Atmosphère stand ein schwarzer Jeep mit getönten Scheiben. Die Beifahrertür öffnete sich, und ein Mann mit Sonnenbrille stieg aus. Ein Diamantenhändler, tippte Timo, während der Mann mit dem Koffer in der Hand auf den Hoteleingang zuging. Der Polarstern war am Himmel nicht zu sehen, er hatte also tatsächlich den Äquator überschritten. Eine Handfeuerwaffe unter der Jacke hätte nicht geschadet, aber der bürokratische Aufwand für eine entsprechende Genehmigung hätte zu viel Zeit gekostet.
    »Monsieur!«, sagte ein kleiner Junge mit ausgestreckter Hand zu Timo. »Monsieur!«
    Wie aus dem Nichts tauchten immer mehr Kinder auf. Sie starrten ihn an wie einen vumbi , einen Geist ihrer Vorfahren. Die Afrikaner glaubten, dass der Mensch kalkweiß wurde, wenn er ins Reich der Toten überging.
    Obwohl es auf Mitternacht zuging, standen noch Leute vor einem Verkaufsstand auf der Straße. Das Angebot war breit gefächert: Zigaretten, Kaugummi, Kolanüsse, Plastiksandalen, Nylonkrawatten, hart gekochte Eier.
    In Timos Eingeweiden machte sich der Hunger lautstark bemerkbar, aber er beschloss, auf den Lebensmitteleinkauf zu verzichten. Am nächsten Tag musste er so schnell wie möglich herausfinden, was es mit dem Koordinatenpunkt Mwanga auf sich hatte, da durfte er seine Zeit nicht mit Toilettenbesuchen verschwenden. Eine Straßenbeleuchtung im eigentlichen Sinn gab es nicht, aber hier und da standen vereinzelte Straßenlaternen. Dennoch fühlte Timo sich hier nicht annähernd so bedroht wie auf dem Flughafen von Kinshasa.
    Auf der anderen Seite der Straße ragte hinter Palmen eine alte Villa im Kolonialstil auf. Das Gebäude stand kurz vor dem Einsturz, aber aus seinem Innern drangen die metallischen Klänge eines E-Pianos und der salsaähnliche Rhythmus eines Schlagzeugs. Im Garten brannte ein Feuer, um das junge Leute herumstanden, die sich lebhaft unterhielten und sich immer wieder scherzhaft anstießen.
    Doch kurz vor dem Hoteleingang kam Timo ein Mann im Tarnanzug entgegen, der eine diffuse Aggressivität ausstrahlte. Im schwachen Licht sah Timo, dass sich der junge Mann die Lippen mit rosa Lippenstift angemalt hatte.
    Er sagte etwas zu Timo auf Lingala. Timo vermied es wohlweislich, ihm in die Augen zu schauen, und versuchte, an ihm vorbeizugehen, denn das Letzte, womit er es im Moment zu tun haben wollte, war ein bewaffneter kongolesischer Drogensüchtiger. Aber der Mann versperrte ihm den Weg und wiederholte seinen Satz, fordernder als zuvor.
    Da schwang die Hoteltür auf, und ein zweiter junger Mann kam heraus. Er trug ein blütenweißes Hemd, dessen Kragen bis zu den Schultern reichte. Ehe sich’s Timo versah, schlug der Mann im Tarnanzug dem anderen die Faust ins Gesicht und lachte schrill. Entschlossen sprang Timo auf den Hoteleingang zu. Dies war nicht der Zeitpunkt, den Helden zu spielen. Aus dem Augenwinkel sah er das Opfer mit blutüberströmtem Gesicht und Hemd davonrennen.
    Mit pochendem Herzen riss Timo die Tür auf, schlüpfte hinein und verriegelte den Eingang von innen. Nirgendwo sonst war er sich so nackt und hilflos vorgekommen, nicht einmal

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