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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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in der Sankt Petersburger Unterwelt in der Gesellschaft von übergeschnappten Afghanistan-Veteranen, Mafiakillern, Aids-Prostituierten und Drogenabhängigen. Er wusste, dass man ihn für einen harten Burschen hielt, aber er hasste Gewalt in jeder Form. Als er einmal mit einer Polizeieinheit im Einsatz gegen die Mafia unterwegs gewesen war, hatte er gesehen, was Kalaschnikows, Stilette und Beile mit dem menschlichen Körper anrichten können. Er vermied es, blutige Tatorte aufzusuchen, denn er reagierte physisch auf den Anblick von Leichen. Manche seiner Kollegen waren fähig, die schrecklichen Anblicke dann im Privatleben aus ihren Köpfen zu verbannen, aber Timo gelang das nicht.
    Die mollige Frau an der Rezeption war sehr freundlich. Was die Bezeichnung »Hotel« trug, war eine Herberge, die in den 50er Jahren von den Belgiern gebaut worden war. Seitdem war nichts mehr daran gemacht worden. Als Wandschmuck dienten Furcht erregende Ritualmasken und Skulpturen, wie sie auch in den Antiquitätenläden und auf den Flohmärkten von Brüssel verkauft wurden. Gesichter mit riesigen Augäpfeln starrten ihn an.
    Er ging in sein Zimmer im ersten Stock. Verstärkt durch die Müdigkeit und diese feindliche Umgebung überkam ihn plötzlich ein Gefühl totaler Einsamkeit. Am liebsten hätte er Soile und Heidi Klötz angerufen, aber auch in Europa war jetzt Nacht. An den Wänden prangten Feuchtigkeitsflecken und verblasste Bilder von afrikanischen Tieren. Fernseher oder Radio gab es nicht. Timo sperrte die Tür ab und legte die Sicherheitskette vor.
    Da kein warmes Wasser aus dem Hahn kam, wusch er sich das Gesicht mit kaltem, wobei er darauf achtete, dass es nicht in die Nähe der Lippen kam. Er wollte das Satellitentelefon aufladen, aber die Steckdose hatte keinen Strom. Dann versteckte er das Telefon, das Navigationsgerät und die übrigen Wertsachen unter der Matratze und hielt schließlich nur noch die Lampe in der Hand, die er Aaro gekauft hatte. Die Maglite mit dem Titangehäuse fühlte sich massiv und leicht zugleich an. Als Junge wäre er bereit gewesen, für so ein Ding wochenlang zu arbeiten – Aaro hatte die Lampe gewissermaßen nebenbei bekommen, als eines von vielen Weihnachtsgeschenken.
    Timo war sich nicht sicher: Sollte man Kinder kurz halten, damit sie die Dinge wertschätzen lernten? Oder musste man akzeptierten, dass die Kids heute in einer völlig anderen Welt lebten? Es ging vielen Eltern so. Oft war es schwierig, Aaro zu erklären, warum er irgendeinen Firlefanz nicht bekam, den alle anderen in seinem Alter am Tag nach der ersten Fernsehwerbung längst hatten. Aber lieber ertrug Timo Aaros Quengeln und fieberhaftes Betteln, als dem ersten Aufschrei nachzugeben. Wer als Kind nicht lernte, Enttäuschungen auszuhalten, auf den warteten später bittere Stunden. Bei seiner Arbeit hatte er genug junge Erwachsene gesehen, die es gewohnt waren, als Kind alles zu bekommen. Und zwar sofort.
    Das Bett war uneben, und der Rasierwassergeruch eines früheren Gastes war beim Waschen nicht aus dem Laken rausgegangen. Trotz aller Müdigkeit wollte der Schlaf nicht kommen. Die Atmosphäre des Kongo ließ Timo unruhig werden. Er hatte hier das Gefühl, ein vollkommen anderer Mensch zu sein als der kleine Junge, der von einem Leben als Forschungsreisender und Abenteurer geträumt hatte.
    Der Kongo hätte eigentlich die Erfüllung all seiner Träume sein müssen. Er fragte sich, was in den Belgiern vorgegangen sein mochte, die während der Kolonialzeit hierher gekommen waren. Das Land hatte abenteuerlustigen Männern unbegrenzte Möglichkeiten geboten. Ein kleiner Beamter, der vor seinen Eheproblemen fliehen wollte, ein Geschäftsmann, der Konkurs gegangen war, oder ein Fabrikarbeiter mit Alkoholproblemen konnte hier zum totalitären Herrscher über tausend Untergebene werden, zum Herr über Leben und Tod.
    Die meisten Ankömmlinge waren ruhelose, unglückliche Menschen gewesen, die auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit oder vor sich selbst waren. Im Kongo fanden sie einen guten Nährboden vor, auf dem ihre psychischen oder Suchtprobleme und ihr Hang zur Gewalt bestens gedeihen konnten.
    Timo wälzte sich unruhig im Bett. Ihm spukten die Schwarzweißfotos durch den Kopf, die er in zahlreichen Büchern über den Kongo gesehen hatte. Beweise für Grausamkeiten waren schon zu Leopolds Zeiten an die Öffentlichkeit gebracht worden: Bilder von abgeschnittenen Körperteilen und niedergebrannten Dörfern sowie immer kritischere

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