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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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hast.«
    Ein helles Klimpern drang in die Nacht, als Nzanga neben einem drei Meter hohen Termitenbau die Tragegurte prüfte.
    »Man hätte die Maus für die Injektion auf einer speziellen Bank festbinden müssen«, sagte Ilgar und nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. »Aber da dreißig Mäusen Spritzen gegeben werden mussten, ging es schneller, jedes Tier einfach in der Hand zu halten. So habe ich es auch oft gemacht. Aber Tanja war müde an jenem Tag … In der Spritze war das Ebola, das ich selbst aus Afrika mitgebracht hatte. Die Maus bewegte sich, und die Nadel ging durch das Tier hindurch in Tanjas Handfläche. Und durch den dreifachen Handschuh.«
    Ilgar merkte, dass seine Stimme zitterte.
    Noora hörte schweigend zu.
    »Im Isolationslabor hing für solche Fälle ein Fleischerbeil. Sie hätte sich innerhalb weniger Sekunden die Hand abhacken müssen. So wie es hier früher üblich war«, sagte Ilgar lakonisch.
    »Wer ist schon fähig, sich selbst die Hand abzuhacken?«, sagte Noora leise.
    »Tanja wurde desinfiziert und auf eine Isolierstation gebracht. Dann haben wir abgewartet, ob sie Kopfschmerzen und Fieber bekam. Sie bekam beides.«
    Ilgar spielte nervös mit dem Feuerzeug. »Wenn ich sie besuchte, musste ich einen Schutzanzug tragen. Am fünften Tag erbrach sie Blut. Mit der Genauigkeit einer Wissenschaftlerin führte sie ein Tagebuch, in dem sie alles notierte, was in ihrem Organismus geschah. Mein ganzes Leben lang werde ich ihre blutigen Fingerabdrücke auf dem dicht beschriebenen Karopapier nicht vergessen.«
    Noora trat näher an Ilgar heran und berührte vorsichtig seine Hand.
    »Bei der Obduktion wurde ihr die Milz entfernt, und man machte eine Blutprobe. Trotz meines Einspruchs isolierte man daraus die Ebola-Variante A. A wie Azneft. Sie war deutlich virulenter als der ursprüngliche Stamm. Vielleicht war daran etwas von Tanjas Zähigkeit zurückgeblieben«, sagte Ilgar und lachte gezwungen.
    Eines erzählte er Noora nicht: Trotz seines Widerstands wurde die Variante A mit großem Aufwand an Ressourcen für das Grib-Projekt untersucht. Der Plan der Institutsleitung, das Blut seiner Frau zu benutzen, um das Virus für militärische Zwecke nutzbar zu machen, war der Tropfen, der das Fass seines Russenhasses zum Überlaufen gebracht hatte. In einem der teuersten und ehrgeizigsten Vorhaben von Biopreparat versuchte man, aus der Variante A ein ethnospezifisches, nur Chinesen infizierendes Ebola zu kreieren, das den Namen Variante E266A+ erhielt.
    Mit einem Kollegen, ebenfalls Tatar, hatte Ilgar jedoch als Ausdruck seiner Trauer und seines Hasses einen anderen Virusstamm modifiziert, bei dem der Zielrezeptor nicht das Kollagen von Chinesen war, sondern das von Weißen beziehungsweise Kaukasiern: von Russen. Aber das war eher eine symbolische Geste als die Vorbereitung einer terroristischen Maßnahme, denn sie hatten nicht die Absicht, Schaden unter der russischen Bevölkerung anzurichten. Die beiden flogen auf, und Ilgar floh unter Lebensgefahr aus Koltsowo. Den Virenstamm trug er in einem Stahlzylinder bei sich. Nachdem er England erreicht hatte, plante er zunächst, die Pläne von Koltsowo zu verraten, gab den Gedanken aber auf, denn die Russen hätten ihre Arbeit trotzdem fortgesetzt, und er hätte sich im Westen seinen Ruf verdorben. Es war besser, reinen Tisch zu machen und ein neues Leben anzufangen.
    Ilgar wusste, dass er dem Kriegsgericht und der Todesstrafe in der Sowjetunion nicht nur durch seine Flucht in den Westen entging, sondern auch dadurch, dass Moskau ihn nicht ins Visier nehmen konnte, ohne selbst unangenehmen Fragen ausgesetzt zu werden. Die UdSSR leugnete ihr Biowaffenprogramm nämlich kategorisch.
    Ilgar betrachtete Noora und deren aufrichtig wohlwollende Miene. Die engagierte Finnin tat ihm leid. Es würde für die junge Frau nicht leicht sein, wenn sie die Wahrheit erführe.
    Aus dem Dunkel über den Jakarandabäumen näherte sich das hackende Geräusch eines Helikopters. Ilgar trat seine Zigarette aus.
    Der Landescheinwerfer des Hubschraubers strich über die Lichtung, dann landete der MD 500 neben den Autos und wirbelte so viel Staub und Pflanzenteile auf, dass Ilgar die Augen zukniff und den Atem anhielt. Noora hielt sich die Ohren zu.
    Im Moment der Bodenberührung schob Ralf sich bereits aus dem Hubschrauber. Ohne ein Wort, mit routinierten Griffen, legten die Männer Gurte um die Kiste und befestigten sie an dem Transporthaken des Hubschraubers. Sie arbeiteten mit

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