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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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soeben von Ilgar und Ralf und diesem schwarzen, gewaltigen Geheimnis losgesagt. Der Grund dafür war weniger die Uneinigkeit über das Schicksal des Finnen; vielmehr konnte sie es nicht mehr akzeptieren, dass man ihr nach alldem noch immer nicht die Wahrheit sagte.
    Sie ging langsam weiter, fand aber keinen Höhleneingang. Sie stieg den Hang hinauf und versuchte, gleichmäßig zu atmen.
     
    Unweit des Mwanga stieg Ralf aus dem Geländewagen. Ilgar hatte am Funkgerät besorgt geklungen, weil Noora nach einem heftigen Wortwechsel davongelaufen war.
    Ralf konnte sich nicht vorstellen, dass Noora »Ärger machte« oder »abgehauen« war, wie Ilgar gesagt hatte. Natürlich war ihm Ilgars Interesse an Noora aufgefallen. War der Tatare womöglich aufdringlich geworden und sie hatte ihn zurückgewiesen? Oder machte sie nun doch einen Rückzieher?
    Ralf schlug den Pfad ein, der zum Mwanga führte, als ihm Ilgar bereits entgegenkam. Müde und besorgt sah er aus.
    »Sie ist weg«, sagte er und blieb außer Atem stehen.
    »Ach was. Noora wird alles verstehen, wenn ich mit ihr rede …«
    »Kapierst du nicht, was ich dir sage? Sie ist in den Wald abgehauen. Sie akzeptiert nicht, was wir mit Nortamo vorhaben.«
    Ralf horchte auf. Hatte er es zu weit getrieben? War Noora an ihre Grenzen gestoßen?
    Wenn er an ihr Verhalten in der letzten Zeit dachte, schien ihm das plötzlich möglich.
    Was aber würde das für ihre Aktion bedeuten?
    Unter Umständen eine Katastrophe. Unwahrscheinlich, aber möglich. Man musste sich darauf einstellen.
    Ralf öffnete den Reißverschluss des Etuis an seinem Gürtel, nahm das Satellitentelefon heraus und rief Tobias in Brüssel an.
    »Mach dich bereit, dir den Jungen zu schnappen. Der nächste Anruf ist ein Einsatzbefehl.«
     
    Timo saß auf dem Boden der Höhle. In der Hand hielt er den Kompass und ein Stück Papier, neben ihm lag die brennende Taschenlampe.
    Nach einem Blick auf den Schrittzähler zeichnete er eine Karte von seinem Standort. Der labyrinthische Weg hatte immer tiefer ins Innere des Mwanga hineingeführt. Stellenweise hatten sie auf allen vieren kriechen müssen. Immer mal wieder war es Timo so vorgekommen, als würde ihn die Führerin absichtlich in die Irre leiten.
    Nach allen rationalen Überlegungen müsste er sich jetzt exakt am Koordinatenpunkt befinden.
    Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Ein Rascheln drang aus dem Korb der Führerin. Es war, als hätte sich der Korb bewegt. Die Frau hatte ihn abgestellt und zu Timo gesagt, sie werfe einen Blick in den linken Höhlenarm.
    Vielleicht hatte er sich verhört.
    »Gehen wir weiter, oder sollen wir etwas essen?«, klang ihre Stimme aus der Dunkelheit.
    Timo fuhr zusammen. »Wir gehen weiter«, antwortete er leise. Er wusste selbst nicht, warum er in der Höhle flüsterte.
    Er zog einen Müsliriegel aus der Tasche und bot der Führerin davon an. Aber die lehnte ab, trank von ihrer Milch und setzte den Korb auf. Timo begriff nicht, wie die Frau gesund bleiben konnte, obwohl sich die Zahl der Bakterien in ihrer Flasche minütlich vermehren musste.
    Timos Beine waren schwer geworden, und sein Rücken schmerzte vom vielen Bücken. Der tunnelartige Höhlenarm verzweigte sich erneut. Mit jedem Meter machte sich Timo mehr Sorgen. Kannte die Führerin die Höhlen gut genug?
    Im Schein der Lampe war ein mineralisierter Baumstamm zu sehen, der aus der Wand ragte, dann ein zweiter, ein dritter, eine ganze Gruppe. Die Höhle war früher sicher Regenwald gewesen – zu Stein gewordenes Holz.
    »Die Kirche, die Sie erwähnt haben«, sagte Timo weiterhin flüsternd. »Wo ist die?«
    Langsam drehte sich die Führerin zu ihm um. »Sind Sie katholisch?«
    Timo schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Haben Sie Angst?« Der Atem der Führerin roch nach ihrer Energiemilch. »Sind Kirchen nicht Zufluchtsorte? Wo leidende Menschen hingehen können, wenn sie keinen anderen Ort haben?«
    Ihr Gerede gefiel Timo nicht.
    »Wir sind doch richtig hier?«, fragte er betont ungezwungen.
    »Wir mussten einen Bogen machen.« Die Stimme der Führerin wurde schärfer. »Die Geister werden böse, wenn wir uns ihnen zu direkt nähern.«
    Sie ging weiter. Ihr Schatten schwankte im Schein der Lampe über die Höhlenwände. Dieses Gerede von der Kirche und den Geistern machte Timo nervös. Von allen Seiten ragten jetzt messerscharfe Mineralspitzen aus dem Stein.
    Timo blieb stehen und bedachte fieberhaft seine Lage. Er wollte plötzlich keinen Meter mehr

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