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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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ich schwanger, und wir zogen nach Kinshasa … Oder nach Leopoldville, wie es damals genannt wurde.«
    Sie hielt Timo die Flasche hin, aber der schüttelte rasch den Kopf. Allein der Gedanke an das warme, abgestandene Getränk bereitete ihm Übelkeit.
    Die Führerin ging weiter, und Timo hielt es nicht für angebracht, weitere Fragen zu stellen. Die widersprüchliche Persönlichkeit der Frau irritierte ihn, diese Mischung aus primitiver Stammesweisen und vernunftbegabter älterer Frau, der nichts zu entgehen schien.
    Sie blieben vor einem Höhleneingang stehen, der von herabhängenden Pflanzen verdeckt war. Ungefähr einen Kilometer schräg über ihnen ging der Hang in die steile Wand des Kraters über. Genau genommen war es kein Krater, sondern eine Kaidera, ein Muldental, das in Folge eines langen Erosionsprozesses entstanden war. Es wurde von den bewaldeten Überresten des ehemaligen Kraterrandes eingefasst. Dort oben gab es Feuchtbiotope, Teiche und Sümpfe, Flora und Fauna waren äußerst reich und vielfältig.
    Die Führerin machte ein paar Schritte auf die Höhle zu, hielt dann aber abrupt inne. »Das ist nicht klug. Ich habe das schon gesagt.«
    Timo ging weiter und trat durch den drei Meter hohen Höhleneingang, der in dem üppig bewachsenen Südhang des Mwanga kaum zu erkennen war. Er hatte plötzlich das Gefühl, sich tatsächlich in den Schoß der Erdmutter zu begeben. Es war ein heiliger Ort, zu dem er vordrang, das wusste er. Es war die Urheimat der Fruchtbarkeit, deren Frieden er nun störte. Der harte vulkanische Boden führte leicht nach unten. Er war von glitschigem, grünem Schlick überzogen.
    Timo blieb stehen, nahm Aaros Maglite aus dem Rucksack und wartete ab, bis ihn die Führerin eingeholt hatte. Durch das Verschwinden des Telefons und die Finsternis in der Höhle waren seine Nerven aufs Äußerste gespannt.
    »Was ist das?«, fragte er, wobei er den Lichtkegel über den Boden bewegte.
    »Exkremente von Fledermäusen. Guter Dünger.«
    Timo blickte nach oben. Die Decke war schwarz von Fledermäusen. Ihn schauderte. Er erinnerte sich, in einer Zeitung gelesen zu haben, der erste an Tollwut gestorbene Mensch habe sich ausgerechnet bei einer Fledermaus angesteckt. Noch mehr Sorgen bereitete ihm allerdings die Tatsache, dass Höhlen als Verbreitungsorte von Ebola dienten. Sie waren unterirdische Schmelztiegel: Hier begegneten sich verschiedene Tierarten in einem geschlossenen Raum, wo das Virus leicht von einer Art auf die andere überspringen konnte.
    Fledermäuse huschten über Timos Kopf hinweg durch die Dunkelheit. Wenn sie vom Lichtstrahl getroffen wurden, wichen sie abrupt aus und stießen ihre Hochfrequenzrufe aus.
    »Stören Sie sich nicht an den Fledermäusen«, sagte die Führerin. »Die sind empfindlich. Und sie kommen nicht weit in die Höhle hinein.«
    »Warum nicht?«
    »Dies ist ein heiliger Ort. Kein Tier wagt sich tiefer hinein.«
    Immer mehr Fledermäuse gerieten in Bewegung. Timo duckte sich und atmete flach durch die Nase. Er wäre am liebsten umgekehrt, aber das war ausgeschlossen.
    Ein Blick auf den Kompass und den Schrittzähler zeigte ihm, dass die Richtung ungefähr stimmte. Sie nahmen die rechte Verzweigung der Höhle. An der Decke leuchteten Hunderte von roten Fledermausaugen. Die Laute dieser gewaltigen Population erfüllten den Raum, es klang, als öffnete man gleichzeitig zahllose Türen mit ungeölten Scharnieren. Wäre ihm in Kinshasa nicht die Kamera abgenommen worden, hätte Timo ein Foto für Aaro gemacht. Der interessierte sich für Fledermäuse, besonders für deren unfassbar hoch entwickelte Fähigkeit zum Radarflug.
    »Ich glaube, ich weiß, wohin dieser Weg führt«, flüsterte die Führerin.
    Timo blieb stehen. »Wohin?«
    »In die Kirche.«
    »Was bedeutet das?«
    »Irgendwo hier gibt es eine Höhle, deren Decke spitz zuläuft. Wie ein Kirchengewölbe.«
    Timo ging weiter. Die Führerin hatte Recht. Es wurden immer weniger Fledermäuse, und schließlich verschwanden sie ganz.
    Plötzlich hielt Timo inne.
    Ihm war, als hätte er hinter den weit tragenden, gespenstischen Lauten der Fledermäuse ein fernes Dröhnen gehört, das gleich wieder verschwand.
    Ein Helikopter.
    War das möglich? Oder hatte er sich verhört?
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    »Hallo. Hier ist Heidi Klötz, eine Kollegin deines Vaters …«
    Aaros Augen leuchteten. Er drückte den Hörer ans Ohr.
    »Dein Vater hat mich gebeten, mich mit dir in Verbindung zu setzen.«
    »Genau. Ich hab da eine Autonummer

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