Ewige Nacht
gehen.
»Warten Sie«, sagte er zur Führerin, die immer weiterging. »Hören Sie!«
Der Schein ihrer Lampe war bereits hinter der nächsten Kurve verschwunden.
Als Timo um die Kurve bog, herrschte dort Finsternis. Er leuchtete mit der Lampe nach vorn. Die Höhle wurde niedriger und machte eine Biegung nach rechts.
»Hallo«, sagte er laut. In seine Stimme hatte sich bereits Angst eingeschlichen.
Er musste höllisch aufpassen, um sich nicht an den Kristallspitzen zu verletzen.
Von der Führerin war keine Spur zu sehen. Nach der Verengung öffnete sich der Tunnel zu einem großen Raum, dessen Wände die gleichen Pflanzenformationen zeigten wie zuvor schon. Dazwischen standen versteinerte Knochen heraus, Überreste von Flusspferden und Krokodilen.
»Wo sind Sie?« Timo schrie fast und leuchtete mit der Lampe in alle Richtungen, aber sein Ruf verhallte ungehört.
Er spürte, wie sich in seinem Innern alles verkrampfte. Wohin war die Führerin verschwunden? Und warum war sie weg? Er war nicht sicher, ob er jemals allein wieder aus diesem Labyrinth herausfände.
»Was ist los?«, hörte er ihre Stimme und schämte sich.
»Ich habe genug gesehen. Wir können wieder zurück«, sagte Timo.
»Sie wollen gar nicht …«
»Nein.«
Timo ging auf die niedrige Verengung zu und kroch auf den Knien hinein. Mit dem Lichtkegel suchte er die Führerin, aber sie war noch immer nicht zu sehen.
»Wo sind Sie? Wir gehen zurück.«
»Nein, das tun wir nicht«, hallte es aus der Dunkelheit.
Die Führerin stand an der Stelle, an der die Höhle sich verjüngte. Ihr sonderbarer Tonfall brachte Timos Herz noch heftiger zum Pochen. Er kroch weiter, und sein Lichtkegel fiel auf die Füße der Führerin.
»Bleiben Sie, wo Sie sind!«, sagte sie kalt und kippte etwas aus dem Korb auf den Höhlenboden: Ein lebendiges Knäuel aus Schlangenleibern.
Timo erstarrte. Mit den Schlangen war auch sein Satellitentelefon aus dem Korb gefallen.
Er stöhnte vor Entsetzen auf und wich zurück. Dabei schlug er sich den Kopf an. Wenige Meter vor ihm lösten sich die Schlangen voneinander.
Langsam entfernten sich die Füße der Führerin.
»Bleiben Sie, wo Sie sind, dann passiert Ihnen nichts«, sagte die Führerin.
Timo hielt die Lampe auf die Schlangen gerichtet. Die Frau musste die Tiere von Anfang an dabeigehabt haben. Alles war geplant gewesen. Das Exemplar, das ihm am nächsten war, hob den Kopf und entblößte dabei eine glänzende, blaugrüne Unterseite. War das eine Grüne Mamba?
Die Augen des Reptils glichen Mondsteinen, in deren Mitte ein goldener Fleck leuchtete. Langsam und vorsichtig zog Timo sich zurück. Er zitterte am ganzen Leib und lehnte sich an die Wand.
»Sie werden Ihnen nichts tun«, sagte die Führerin. »Solange Sie nicht versuchen, durch die Verengung zu kriechen.«
45
Tobias parkte seinen Wagen in der Rue Washington, zwanzig Meter von dem Haus mit der Nummer 81 entfernt. Es war gegen Abend, die Dämmerung setzte ein.
Er blieb hinter dem Steuer sitzen und legte sich einen Plan zurecht. Die Straße war nicht belebt, aber immer mal wieder kam ein Fußgänger oder ein Auto vorbei. Er musste den Jungen dazu bringen, die Tür aufzumachen, denn ansonsten müsste er einbrechen, und das erhöhte das Risiko. Und er musste den Jungen unbemerkt in den Wagen bekommen.
Bei seinen früheren Besuchen hatte er sich versichert, dass die Wohnung im ersten Stock lag. Die zweite Etage schien unbewohnt zu sein.
Tobias mochte seinen Auftrag nicht besonders. Ein Kind war ein Kind, und der Junge konnte nichts für seinen Vater. Aber Ralf wusste, was er tat, deshalb würde er, Tobias, sich an Ralfs Anweisungen halten. In dem Hotel hatte er alles vorbereitet: An der Rezeption hatte er von seinem »Sohn« gesprochen und Essen aufs Zimmer bestellt.
Er sah zum Fenster im ersten Stock hinauf und erkannte dort das Gesicht des Jungen.
»Ich weiß nicht«, sagte Aaro beim Blick auf die Straße. Wo blieben sie? Er brannte vor Neugier auf die Kollegen seines Vaters und war sich sicher, ihnen Informationen entreißen zu können, die ihm sein Vater nicht mal unter Androhung von Gewalt gegeben hätte.
»Er wird überall gelobt«, sagte Reija hartnäckig. »Brad Pitt soll echt klasse sein. Was glotzt du da?«
Ohne zu antworten, ging Aaro vom Fenster weg. Er hatte Reija nichts erzählt. Und wenn sie kamen, um mit ihm zu sprechen, würde er die Tür schließen, damit sie nichts hörte. Oder wäre es am klügsten, wenn sie gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher