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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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verstehen.«
    »Er hat mir selbst eine SMS geschickt und mich gebeten …«
    »Er hat es probiert. Mit einem Nein hätte er sich abgefunden. Du versuchst nur auszugleichen, dass du so viel weg bist.«
    Dieser Satz war das rote Tuch für den Stier, und Timo setzte ihn nie unnötig ein, aber jetzt war es an der Zeit.
    Soile nahm die Hand von Timos Schulter. »Aha, jetzt sind wir also beim Thema.«
    Timo hätte am liebsten weitergeredet: So wie dein Vater dir immer nachgegeben hat, weil er von Kongress zu Kongress zog und nie zu Hause war. Soiles Vater war Forscher im Kältelabor der Technischen Hochschule gewesen.
    »Ich meine bloß, dass Aaro auf dich wartet und nicht auf deine Mitbringsel«, sagte Timo.
    »O Gott, was für ein Gequatsche! Wenn du ein Trauma hast und wegen deines Vaters kein Blut sehen kannst, dann musst du den Arbeitsplatz wechseln.«
    Timo erstarrte.
    »Entschuldige«, sagte Soile schnell. »Vergiss es. Ich war wütend.«
    Timo holte tief Luft und zählte innerlich bis zehn. Soile musste sich sehr schwach fühlen, wenn sie sich zu einer Anspielung auf seinen Vater Paavo Nortamo verleiten ließ.
    »Alle verantwortungsbewussten Eltern versuchen, ihrem Kind so etwas wie eine Kindheit zu gönnen«, sagte Timo betont ruhig. »Das sagst du doch selbst immer. Hast du etwa in Aaros Alter in der Glotze gesehen, wie Menschen getötet werden?«
    »Ich wäre heute kaum anders, wenn ich es gesehen hätte.«
    Timo begann sich auszuziehen. Es ärgerte ihn, dass sie nach zwei Wochen Trennung streiten mussten, aber hier ging es ums Prinzip.
    »Du darfst deine Linie dann dem Au-pair-Mädchen beibringen«, sagte Soile. »Rate mal, ob es Aaro auch bei ihr probiert.«
    »Ich finde, du hättest mehr als eine zum Vorstellungsgespräch bitten sollen. Bei dem engen Zeitrahmen ist es später nicht mehr möglich, die Kandidatin zu wechseln.«
    »Die hier ist perfekt. Die Mails sagen alles.«
    Timo zog sich das Hemd aus. Im kommenden Winter war ein Au-pair-Mädchen in Brüssel unentbehrlich. Er hatte unregelmäßige Arbeitszeiten und immer wieder Dienstreisen. Soile konnte ihre Wochenendbesuche manchmal verlängern, indem sie online arbeitete, aber das genügte nicht, und es war nicht gut, wenn Aaro zu lange allein war.
    »Wann trefft ihr euch morgen?«, fragte Timo.
    »Um eins. In meinem Arbeitszimmer.« Soile zog ihre Bluse und die Jeans aus. »Du kannst ja kommen, wenn du Zeit hast.«
    »Das wird kaum gehen. Ich wäre aber gern dabei.«
    »Das glaube ich. Um dir die Hübscheste auszusuchen. Ich werde aber die Hässlichste nehmen. Sicherheitshalber … Obwohl das auch keine Garantie ist. Welche junge Frau kann schon die Finger von so einem Mann lassen.«
    Timo zog den Bauch ein, was die weiße Speckmasse aber nur unwesentlich veränderte. Er hatte erwartet, dass Soile auffiel, wie viel er abgenommen hatte: zwei Kilo. Aber sie sagte nichts in diese Richtung.
    »Ist dir nichts an meinem Adonis-Körper aufgefallen?«
    »Ahaa …« Sie klatschte ihm prüfend auf den Po wie ein Pferdehändler. »Zugenommen hast du jedenfalls nicht.«
    »Siehst du nicht, dass ich zwei Kilo weniger habe?«
    »Natürlich, jetzt, wo du es sagst …« Soile spielte die Bewundernde und öffnete die Häkchen ihres BHs. »Deswegen wirkst du so rank und schlank. Hast du Riittas Punktediät befolgt?«
    »Nein, den gesunden Menschenverstand.«
    Soile warf den BH auf den Stuhl, nahm Timos Speckfalte zwischen die Finger und kniff zu. »Ein paar Punkte könnten schon noch runter … Aber übertreib’s nicht. Schließlich muss noch so viel von dir übrig bleiben, dass die Gangster Angst vor dir haben.«
    Timo lachte und zog Soile an sich.
     
    Der Werttransporter fuhr auf der nächtlichen Straße in Richtung Sankt Petersburg, gefolgt von einem PKW. Ralf gab dem Fahrer das Zeichen, die Geschwindigkeit zu senken. Gleichzeitig hielt er nach einem passenden Halteplatz am Straßenrand Ausschau.
    Auf einer kurzen Gerade, die durch einen Fichtenwald führte, sagte er zu dem Fahrer: »Halt! Zentralverriegelung auf!«
    Ralf blickte in den Spiegel und sah den PKW hinter ihnen anhalten. Er öffnete die Tür auf seiner Seite, stieg aber nicht aus, sondern wartete, bis Noora zu ihm gelaufen kam. Sie hielt ihr Gesicht hinter einem Tuch verborgen. Sakombi folgte ihr und stieg ohne ein Wort durch die Seitentür in den Laderaum.
    Ralf griff nach dem Navigationstelefon am Armaturenbrett. Konzentriert löste er es aus der Halterung. Danach entfernte er das Freisprech-Mikrofon

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