Ewige Nacht
Orlow trug eine braune Lederjacke und klassisch geschnittene Hosen, aber etwas an seinem Aussehen und seiner Art, die Waffe zu halten, verriet den Soldaten.
»Schnell«, zischte er, ohne Sakombi und Ralf zu begrüßen. Dieser war inzwischen zur Sicherung der Situation hinzugetreten.
Andrej riss die Hecktür auf. Als einzige Fracht stand im Laderaum eine Kiste aus ungehobeltem Holz. Ralf leuchtete sie mit seiner hellen Handlampe an.
»Wo ist eure Kamera?«, fragte Andrej.
»Hier.« Ralf hob die Videokamera auf, die er zuvor an einem Baum abgelegt hatte.
Sakombi und Swetlana traten hinter sie und sahen zu, wie Andrej die verschraubte Holzkiste öffnete. Eine zweite Kiste steckte darin wie in einer Matrioschka-Puppe.
Andrejs Bewegungen wirkten routiniert. Trotzdem vergingen nahezu zehn Minuten, bis er den Inhalt der Kiste, der in eine Decke aus Kevlarfaser gewickelt war, freigelegt hatte.
Ralf starrte auf den Gegenstand, der im Schein der Lampe glänzte.
»Schnell«, flüsterte Andrej.
Ralf nahm die Kamera und filmte ein paar Details, die Andrej ihm zeigte. Danach setzte Andrej die Kiste sofort wieder zusammen.
Nach der letzten Schraube sagte Sakombi von hinten: »Hände hoch.«
Andrej erstarrte. Ralf trat neben Sakombi zurück und zog seine Waffe. Swetlana war vollkommen weiß geworden.
»In den Wald!«, kommandierte Sakombi.
Ralf hörte die Anspannung in der Stimme.
Andrej wollte etwas sagen, aber Sakombi stieß ihn mit der Waffe an, damit er sich in Bewegung setzte.
»Tempo!«
Ralf ging forsch auf den Werttransporter zu, die Kamera mit zitternder Hand umklammert. Er hörte Swetlanas Stimme, die auf Sakombis Befehl abbrach. Ralf machte die hintere Tür des Wagens auf.
In der Dunkelheit fiel ein Schuss. Ralf drückte sich die Hände auf die Ohren und kniff die Augen zusammen. Ihm war plötzlich speiübel.
Ein zweiter Schuss.
Ralf zitterte am ganzen Leib. Er ließ die Hände sinken, atmete tief durch und trat hinter den Lastwagen. Sakombi kam aus dem Wald. Sein Gesicht war jetzt so grau wie sein Haar.
Ohne ein Wort packten sie die schwere Kiste. Ächzend trugen sie sie zum Werttransporter und schoben sie hinein. Dann stellten sie möglichst viele Kisten und Behälter der ursprünglichen Fracht darauf. Was nicht hineinpasste, ließen sie im Wald liegen.
Ralf befreite Vakkuri, nahm ihm die Augenbinde und die Kopfhörer ab. Mit der Waffe in der Hand setzte sich Sakombi auf den Platz im Laderaum. Er sollte bis Krasnoselskoe mitfahren, wo ihn Noora auf dem Rückweg auflesen würde.
Vakkuri wirkte ängstlich und folgte ohne zu zögern dem Befehl, sich hinters Steuer zu setzen. Ralf saß auf dem Beifahrersitz.
Vakkuri ließ den Motor an und legte den ersten Gang ein. Die Rückfahrt nach Finnland begann.
Ralf wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Er schwitzte nicht allein wegen der körperlichen Anstrengung. Im Laderaum hinter seinem Rücken befand sich einer von zwanzigtausend taktischen Atomsprengsätzen der Russischen Armee, die aufgrund ihres Gewichts und ihrer Effektivität alles andere als »Aktentaschenbomben« waren.
7
Der Diensthabende im Kontrollraum von SecuriGuard in Vantaa gähnte. Die frühen Morgenstunden unmittelbar vor Schichtende waren die schlimmsten. Er trank bereits die vierte Kanne Kaffee und blätterte in seiner Autozeitschrift. Keine besonderen Vorkommnisse in der Nacht. Bei der Vier, die die Bankautomaten abklapperte, stimmte etwas mit der Zentralverriegelung nicht, das musste heute gleich repariert werden.
Der Diensthabende blickte auf die Uhr. 6.49 Uhr. Den üblichen Kontrollanruf bei der Sechs auf der Petersburg-Tour hatte er gemacht. Vakkuri hätte zurückrufen sollen, wenn er wieder auf der finnischen Seite war, aber bis jetzt hatte er das nicht getan.
Auf dem Bildschirm bewegte sich Vakkuri dem Zeitplan entsprechend auf Helsinki zu. Gerade eben befand er sich westlich von Vaalimaa. Alles in Ordnung. Aber Vorschriften waren Vorschriften, weshalb der Diensthabende beschloss anzurufen, wenn Vakkuri sich nicht von selbst meldete.
Kalte Tropfen schlugen Noora ins Gesicht, als sie in Virojoki, knapp zehn Kilometer hinter dem Grenzübergang Vaalimaa, aus dem Wagen stieg. Es ging auf sieben Uhr zu, es war noch dunkel. Ohne sich vom Regen beirren zu lassen, dehnte sie ihren Nacken, der vom langen Sitzen ganz steif geworden war.
»Wo wartest du auf sie?«, fragte sie Sakombi, der auf der Fahrerseite ausstieg.
»Hier.«
»Im Regen?«
Sakombi lächelte, dass die weißen
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