Ewige Nacht
Soile aus dem Schlafzimmer. »Ich bin gleich fertig …«
»Keine Eile«, sagte Timo ruhig. »Programmänderung.«
Aaros dünne Finger tanzten eifrig über die Tastatur. Auf dem Bildschirm tauchten die Seiten der Boulevardzeitung ›Ilta-Sanomat‹ auf, wo Aaro die neuesten Mitteilungen der finnischen Nachrichtenagentur STT anklickte.
G ELDTRANSPORTER BEI H AMINA ÜBERFALLEN . Ein Werttransporter von SecuriGuard, der im Ostverkehr eingesetzt wurde, ist ausgebrannt in der Nähe von Hamina gefunden worden …
»Fährst du zum Tatort?«, wollte Aaro wissen.
»Ich muss ein bisschen arbeiten, wie gesagt. Heute Abend gehen wir angeln.«
»Er ist ausgeraubt und angesteckt worden … Ziemlich selten in Finnland, oder?«
Timo ging in den Flur und rief Soile zu: »Es ist vielleicht besser, wenn ihr mit dem eigenen Auto fahrt. Ich rufe euch später an.«
Aaro lief hinter seinem Vater nach draußen.
»Was glaubst du, wie viel sie erbeutet haben? Meinst du, die Räuber sind Finnen?«, fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten. »Es ist genau nach dem deutschen Vorbild gemacht worden, oder? In der Zeitung stand, in Deutschland würden die jetzt reihenweise überfallen …«
Timo schloss die Wagentür auf. »Hilf der Oma heute Nachmittag im Laden, ein paar Möbel umzustellen.«
»Bist du bei den Tatortermittlungen dabei? Nehmt ihr DNA-Proben?«
Timo zwängte sich in das enge Auto. Er wäre lieber mit seinem eigenen gefahren, aber der Toyota musste zurückgebracht werden. Dass es den Neid seiner ehemaligen Arbeitskollegen weckte und nach Größenwahnsinn aussah, wenn er mit einem Benz aufkreuzte, hätte ihn völlig kalt gelassen.
»Das sind Erwachsenenangelegenheiten«, sagte Timo mit gesenkter Stimme, während er den Motor anließ. »Wir sind hier nicht im Film. Verstehst du?«
»Mal gespannt, wie sich das entwickelt.« Aaro hing an der offenen Fahrertür. »Weißt du übrigens, was die größte Beute war, die je bei einem Raubüberfall …«
»Wir sehen uns heute Abend.« Timo schlug Aaro die Autotür vor der Nase zu.
9
Riikka Vakkuri lag auf den Wolldecken und spielte mit Laura. Sie gab sich Mühe, fröhlich zu wirken und ihre Panik zu verbergen, damit das Kind ruhig blieb.
Der Eimer und die Windeln in den Müllbeuteln stanken. Ringsum lagen leere Kekspackungen, Babygläschen und Einwegbecher.
Niemand war bei ihnen gewesen. Die Uhr war Riikka gleich am Anfang abgenommen worden, und da sie nicht hinausschauen konnte, hatte sie keine Ahnung, wie spät es war. Der kurze Schlaf, der in unregelmäßigen Abständen kam, hatte ihr den letzten Rest von Zeitgefühl geraubt.
Je lauter das Baby lachte, umso stärker musste Riikka gegen ihre Tränen ankämpfen.
Plötzlich klopfte jemand an die Hecktür des Lieferwagens. Riikka fuhr zusammen.
Das Straßenpflaster ließ die Reifen hüpfen, als Timo durch die Altstadt von Porvoo fuhr. Er rief Heidi Klötz auf dem Handy an und erzählte ihr kurz, was geschehen war. Im Gegenzug erhielt er Anweisungen, auf die er gern verzichtet hätte. Er bestätigte sie mit lakonischem Gemurmel.
Als er nach der Brücke auf glatten Asphalt kam, rief er Välimäki bei der SiPo an.
»Es wird das Beste sein, wenn wir Noora Uusitalo und ihren deutschen Freund zur Fahndung ausschreiben«, sagte Timo. Über dem Fluss lag dünner Nebel, durch den das Rot der alten Bootshäuser schimmerte.
»Ich weiß nicht. Das sieht nicht nach dem Manifest von Globalisierungsgegnern au s. Eher nach dem Raubüberfall von Berufsverbrechern. Oder weißt du irgendwas …«
»Nein. Aber wir müssen m it ihnen reden.«
Timo fuhr am Friedhof vorbei zur Autobahnauffahrt. Er ließ sich von Välimäki die Namen von Nooras Eltern nennen. Auf der Autobahn rief er zunächst die Auskunft und dann bei Noora zu Hause an. Kalevi Uusitalo meldete sich.
»Guten Morgen. Könnte ich bitte Ihre Tochter sprechen?«, fragte Timo freundlich.
»Wer ist da?«, brummte der Mann. »Ich habe keine Tochter.«
»Entschuldigung. Ich suche eine Noora Uusitalo.«
»Wer ist das?«, fragte eine Frauenstimme im Hintergrund. »Gib mir den Hörer …«
»Misch du dich da nicht ein«, zischte der Mann.
Man hörte ein undefinierbares Geraschel, als der Hörer übergeben wurde. »Hallo?«, fragte eine entschlossene Frauenstimme.
»Ich möchte mit Noora Uusitalo sprechen«, wiederholte Timo möglichst gelassen.
»Noora ist in Deutschland. Ich kann Ihnen ihre Handynummer geben …«
Sie diktierte die Nummer, und Timo tippte sie beim Fahren
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