Ewige Nacht
schnappte. Aber das war unwahrscheinlich.
Der Südwind war warm. Im fahlen Licht der Deckscheinwerfer sah man nur einen Menschen, eine Frau, die ihren Hund zum Pinkeln in den eigens dafür vorgesehenen Sandkasten führte. Timo steuerte an der Frau vorbei zum Heck, um auf der anderen Seite ins Innere des Schiffs zurückzukehren.
Die Schiffsschrauben schlugen das Wasser zu glänzendem Schaum auf. Timo spürte eine Angst aufsteigen, wie er sie noch nie erlebt hatte: Wenn Aaro auf dieser Überfahrt etwas zustoßen würde, wäre das einzig und allein seine Schuld.
Plötzlich blieb er stehen. Jemand folgte ihm. Eine dunkle Gestalt verschwand hinter den Rettungsbooten.
Hatte sich Aaro wieder einen seiner blöden Späße ausgedacht? Der Gedanke war verführerisch, aber die Gestalt war die eines Erwachsenen gewesen. Warum folgte ihm jemand? Es musste Einbildung sein.
Mit forscherem Schritt ging Timo um das Heck herum auf die andere Seite des Schiffes und sah sich um. Die Gestalt verschwand in einer Nische.
Timos Herz klopfte. Was sollte das? War dem Deutschen Timos Interesse klar geworden? Nein, das schien unmöglich.
Er riss die Tür auf und trat in die Halle, in der ein Teppichboden alle Geräusche schluckte. Ohne zu zögern, ging er die Treppe hinunter und in den Kabinengang. Falls Aaro noch immer nicht zurück war, würde er es dem Personal melden.
Er schob die Schlüsselkarte ins Schloss und sah, wie die Tür nebenan sich öffnete. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er auch, dass sich die gegenüberliegende Kabinentür öffnete.
»Entschuldigung«, sagte der Deutsche.
Im selben Moment bewegte sich etwas hinter Timo. Noch bevor er reagieren konnte, spürte er einen Stich im Oberschenkel. Er fuhr herum und sah vor sich einen dunkelhäutigen, 50-bis 60-jährigen Mann mit grauen Locken, der ihn am Arm packte und in die Kabine des Paares führte.
Dann verlor er das Bewusstsein.
Ralf und Sakombi schleiften den schweren Finnen in die Kabine hinein. Noora schloss die Tür. Sie versuchte, ihre Erschütterung zu verbergen, sah aber, wie ihre Hände zitterten.
Der Junge lag auf dem einen Bett, seinen Vater legten die beiden Männer auf dem anderen ab. Aaro und Timo Nortamo, hatte Ralf gesagt. Außer sich sah sie zu, wie Ralf die Spritze an sich nahm.
»Was ist das?«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. »Ist das dieselbe Substanz wie …«
»Hör auf zu jammern«, zischte Ralf und half Sakombi, Timo mit einer Nylonschnur zu fesseln.
Anschließend beugte sich Ralf zu Aaro hinab und fühlte erneut nach dem Puls an dessen dünnem Hals. Seine Gesten wirkten professionell, und das weckte in Noora Vertrauen und schürte zugleich die Angst.
»Wenn das Zeug nicht gefährlich ist, warum …«
»Halt den Mund!«, fuhr Ralf sie an und öffnete die Augenlider des Jungen.
Noora war mit Aaros Betäubung nicht einverstanden gewesen, bevor Ralf ihr gesagt hatte, welche Substanz sie verwenden würden. Anophol war eine Verbindung, die wie K.-o.-Tropfen wirkte. Sie löschte im Kurzzeitgedächtnis die Ereignisse der letzten 24 Stunden aus. Dieselbe Substanz hatten sie auch bei dem Beifahrer des Werttransports benutzt, und sie war auch für den Fahrer vorgesehen gewesen, aber dann war der Brand ausgebrochen.
Und wenn die Dosis zu hoch war? Der Junge, der da blass auf dem Bett lag, war klein und schmächtig. Für Noora sah er aus wie tot. Sie ging zu ihm und ergriff sein Handgelenk.
Ralf erschrak, er zog Noora grob zur Seite und fühlte erneut den Puls.
»Dem Jungen fehlt nichts«, sagte er, aber das klang nicht überzeugend.
Auf einmal verkrampfte sich der schmächtige Körper, und der Junge erbrach auf das Kissen. Ralf schnappte sich den Abfalleimer und hob den Kopf des Jungen an, damit er nicht an dem Erbrochenen erstickte.
»Wir brauchen einen Arzt …«
»Bist du verrückt!«, zischte Ralf. »Hör auf zu schreien … Die Wände hier sind aus Papier. Das Erbrechen ist normal. Die Wirkung der Substanz lässt nach.« Ralf sah sich in der Kabine um. »Gib mir ein Handtuch. Wir verbinden ihm die Augen.«
»Es gibt Schwierigkeiten mit dem Storage Tank«, sagte Soile im Restaurant Raffaello im Zentrum von Helsinki und nahm einen Schluck aus ihrem Rotweinglas. »An der Grid-Software sind zu viele Stellen beteiligt. Und IBM tobt, weil die Organisation von CERN nicht kompakt genug ist.«
Patrick Lang lächelte. »Du findest dich wirklich überall zurecht.«
Soile war in ein großes Projekt involviert, das vom CERN
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