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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Seiten waren unaufwändig und schnell geladen. Den Text gab es auf Finnisch und Englisch. Ralf ging auf die englischsprachige »Meine Familie« -Rubrik.
    Was er dort las, verursachte einen metallischen Geschmack in seinem Mund.
    »Mein Vater heißt Timo. Ein guter Typ, aber geheimnisvoll. Kann nicht über seine Arbeit reden. Er ist irgendein Polizist. Meine Mutter Soile ist Wissenschaftlerin, eine echte Forscherin …«
    Ralf unterbrach die Verbindung und klappte den Kommunikator abrupt zu.
     
    Nach dem Essen ging Timo aufs Deck hinaus, um frische Luft zu schnappen. Aaro hatte gesagt, er wolle in der Kabine lesen. Hier und da waren Schaumkronen in der Dunkelheit zu erkennen. Timo stützte sich auf die Reling, er versuchte sich vorzustellen, wie der kommende Herbst in Brüssel sein würde. Die Arbeitstage würden sich in die Länge ziehen, obwohl er zu denen gehörte, die keinen Augenblick länger als nötig an ihrem Arbeitsplatz verbrachten – im Gegensatz zu vielen anderen TERA-Beamten, denen die Tätigkeit in der Eliteeinheit alles bedeutete.
    Timo fühlte sich in Brüssel wohl, und sein Job gefiel ihm, aber er hätte sich mehr Zeit für sich und natürlich auch für Aaro gewünscht. Er war immer zu streng mit sich gewesen, außer in der Schule, und das hatte er schon oft bereut.
    Daher war seine Berufswahl auch eher von den Umständen als von einer Berufung diktiert gewesen. Nach der Armee hatte er sich für die Polizeischule beworben, obwohl er sich hoch und heilig geschworen hatte, nicht in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Aber vielleicht hatte er unbewusst gerade wegen des Schicksals seines Vaters eine Arbeit gewollt, bei der man zwangsläufig mit moralischen Fragen zu tun hat, damit, was richtig und falsch war.
    Als Bester des Anwärterkurses war er zunächst in der Passkontrolle am Flughafen eingesetzt worden. Und dort fing es an, ihn in den Fußsohlen zu kribbeln. Seine Abenteuerlust war geweckt, er begriff, dass er auf die andere Seite des Schalters wollte, zu den Reisenden. Wenn all seine schmerbäuchigen Kollegen in ihren Anzügen reisen durften, warum dann nicht er?
    An diesem Punkt hatte Timo angefangen, sich ernsthaft auf seine Karriere zu konzentrieren. Zusammen mit ein paar Kollegen war es ihm dank enormer Ausdauer gelungen, Jura zu studieren und gleichzeitig zur Schutzpolizei zu wechseln, wo es ihm der Schichtdienst erlaubte, die Pflichtkurse an der Universität zu besuchen. Zwölf Stunden Tagschicht, anschließend nochmal zwölf Stunden Nachtbereitschaft, und danach zweieinhalb Tage frei, um in Vorlesungen sitzen zu können. Im Bereitschaftsdienst hatte er für die Prüfungen gelernt. Für das traditionelle Studentenleben war wenig Zeit geblieben, aber er hatte immerhin so viel in den entsprechenden Kreisen verkehrt, um Soile kennen zu lernen.
    Nach dem Examen hatte er an einem Qualifikationskurs teilgenommen und war als Ermittler zur Zentralkriminalpolizei KRP gegangen. Schon bald hatte er es dort zum Ermittlungsleiter und Hauptkommissar gebracht. Zu der Zeit hatte er mit Soile ein relativ unabhängiges Leben geführt. Sie waren so viel wie möglich gereist, Timo hatte Sprachen gelernt, aus Interesse, aber auch weil er beim Kriminalinformationsdienst arbeitete und viel mit dem Ausland zu tun hatte. Soile hatte an ihrer Dissertation geschrieben, als sich überraschend Aaro ankündigte. Das hatte Timo keineswegs aus der Fassung gebracht. Er hatte sich beim Interpol-Hauptquartier in Lyon beworben, wo die KRP zwei Vertreter hatte, wurde zu seinem großen Verdruss aber nicht genommen.
    Als ihm später die Sicherheitspolizei eine Stelle anbot, wechselte er, ohne lange zu überlegen, als Kommissar in das Dienstgebäude in der Ratakatu. Er war nicht der Einzige im Haus, der auf den Spuren seines Vaters dorthin gekommen war. Der Unterschied bestand aber darin, dass die anderen wegen ihres Vaters dort gelandet waren, Timo hingegen trotz seines Vaters. Er wusste, dass mindestens einige der älteren Kollegen das Schicksal von Paavo Nortamo kannten, aber niemand brachte es Timo gegenüber zur Sprache. Das war ihr Glück.
    Aaro kam inmitten der hektischen Jahre zur Welt, in denen Timo zum Hauptkommissar in der Anti-Terror-Einheit aufstieg. Von dort ging er als Experte von SiPo und KRP nach Sankt Petersburg. In dieser Zeit hatte er wegen Soile und Aaro permanent ein schlechtes Gewissen. Jetzt hatte Soile diese Rolle übernommen.
    Die Schiffsmotoren brummten monoton, andere Passagiere waren nicht auf

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