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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilkka Remes
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Raum betrat. Alle wussten von seiner Verletzung in Göttingen, aber Timo vermochte anhand ihrer Mienen nicht zu entscheiden, ob man ihn wegen des Vorfalls für einen Helden oder für einen Trottel hielt. Eines war allerdings klar: Sein Ruf als seltsamer Finne würde dadurch nur noch weiter gefestigt werden.
    »Timo, schön dich zu sehen«, sagte Wilson.
    Timo setzte sich ohne ein Wort an den Tisch und nahm die Unterlagen aus seiner Aktentasche. Die Wunde an der Seite pulsierte etwas, außerdem war er ohnehin nicht in Redelaune.
    »Und?«, sah sich Wilson gezwungen zu fragen.
    Timo hörte die Verärgerung in der Stimme seines Vorgesetzten. Auch Wilson musste enorm unter Druck stehen, denn sonst war dessen Verhalten stets tadellos. Gleichzeitig registrierte Timo, dass man ihm plötzlich respektvoller zu begegnen schien. In der unsichtbaren Hierarchie der Organisation war er nun offenbar auf dem Weg vom äußeren Ring zum inneren Kern.
    »Ralf Denk ist eine merkwürdige und interessante Person«, sagte er. »Er gibt allen Anlass zur Besorgnis.«
    »Darüber sind wir alle einer Meinung«, warf CIA-Verbindungsmann O’Brien ungeduldig ein. »Ein Durchschnittsaktivist würde nicht versuchen, den Papst umzubringen, auch wenn er etwas gegen dessen globale Machtbestrebungen hätte.«
    Timo störte sich nicht an dem trockenen Unterton des Amerikaners, sondern fuhr langsam fort: »Wenn es die G1 für klug befindet, den Papst mit einem Ebola-Virus zu töten, was würde sie dann mit einer Kernladung machen?«
    »Hoffentlich jedenfalls nicht das, was die verzweifelten Überreste der al-Qaida …«
    »Ich gebe die Antwort selbst«, sagte Timo, ohne von dem Hinweis des Franzosen Victor Girault auf die Bedeutungslosigkeit der G1 im Vergleich zu al-Qaida Notiz zu nehmen. Girault war vom französischen Inneren Geheimdienst Direction de la Surveillance du Territoire gekommen, einer der effektivsten und gefürchtetsten Anti-Terror-Organisationen. Timo schätzte Girault, aber der Franzose war auf al-Qaida fixiert, seit sie Kontakte zu einigen der vielen in Frankreich tätigen radikalen nordafrikanischen Gruppen aufgenommen hatte. Frankreich hatte mehr als jedes andere Land in Europa unter Anschlägen radikalmuslimischer Einwanderer zu leiden gehabt. Mitte der 90er Jahre hatten radikale französische und algerische Moslems Banken ausgeraubt, Bomben in Metrostationen deponiert und fast einen TGV zwischen Paris und Lyon entgleisen lassen.
    »Wenn sich die G1 im Besitz der Kernladung befindet, zündet sie sie in Afrika«, sagte Timo. »Genauer gesagt im Kongo.«
    Seine Kollegen am Tisch sahen ihn fragend an.
    »Falls du auf den Erpressungsversuch von Genua anspielst: Wir haben keine Garantie dafür, dass das Verschwinden der SADM damit in Verbindung steht«, sagte Wilson. »Warum sollten sie die Ladung mitten im finstersten Afrika hochgehen lassen?«
    »Ich weiß es nicht mit Sicherheit. Aber es gibt gute Gründe, der Sache auf den Grund zu gehen. Der Mordversuch am Papst steht damit in unmittelbarem Zusammenhang. Wir müssen aus Rom und von der CIA sämtliche relevanten Informationen bekommen, und zwar sofort.«
    Wilson reichte Timo einen Stoß Papier. »Die Informationen fließen, solange sie jemand entgegennimmt.«
    Timo schob Wilsons Einwurf auf das Konto der Müdigkeit, aber er war über die schlecht verborgene Spitze überrascht.
    »Es gibt Informationen, die man sich selbst beschaffen muss«, erwiderte Timo. Er merkte, dass seine Reizschwelle extrem niedrig lag. Die anderen schienen das ebenfalls zu bemerken, das sah er ihren verlegenen Mienen an. »Wir brauchen mehr Informationen. Aus erster Hand, wenn nötig.«
    »Was hast du vor?«
    »Ich will möglichst bald mit zwei Personen sprechen. Mit einem Experten für Atomexplosionen. Und mit einem Betroffenen.«
    »Mit einem Betroffenen?«
    »Mit dem Papst.«
    Timos Kollegen sahen sich an. Der verrückte Finne.
     
    31
     
    Mit blutunterlaufenen Augen, die Hände über der Brust gefaltet, starrte Papst Clemens XV. auf der Intensivstation des amerikanischen Militärkrankenhauses an die Decke. Seine Haut war über und über mit roten, scharfrandigen Punkten bedeckt, in beiden Armbeugen steckten Kanülen und Schläuche. Elektrodenkabel verschwanden im großen V-Ausschnitt des Krankenhauspyjamas. Auf dem rostfreien Stahltisch neben dem Bett lag eine ledergebundene, abgegriffene Bibel.
    Das einzige Licht im fensterlosen Raum kam von der Leselampe auf dem Tisch. In die Wand war eine Glasscheibe

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