Ewige Nacht
heiliger Ort, an dem der Mensch erschaffen wurde. Und diese Geschichte weicht gar nicht so sehr von der Tatsache ab, dass Paläontologen nur wenige hundert Kilometer entfernt, in Tansania und Kenia, die ältesten Hinweise auf die Existenz von Menschen gefunden haben.«
Die Männer sahen sich für einen Moment in die Augen.
Fitzroy leckte sich über die Lippen. »Ganz egal, wer hinter dem Plan steckt – ein Spinner ist es auf jeden Fall«, sagte er. »Andererseits muss ich sagen, dass die Wahl eines solchen Ortes auch wieder zu sonderbar ist, um die Idee eines Irren zu sein … Verstehen Sie, was ich meine?«
Timo nickte. Er bedankte sich und fuhr mit seinem Wagen in Richtung TERA im Stadtzentrum. Immer mystischer spukten der Kongo und der Mwanga in seinem Kopf herum. Die Bilder auf dem Puzzle nahmen eine zusehends dunklere Tönung an.
Je näher er dem Montgomery-Kreisel kam, umso dichter wurde der Verkehr. Timo schaute auf den Triumphbogen Cinquantenaire, eines der Monumente, die Leopold II. von den Kongo-Erträgen hatte bauen lassen und das gut seinen Größenwahn illustrierte. Der Cinquantenaire war eine Mischung aus Arc de Triomphe und Brandenburger Tor, nur dass er nirgendwo hinführte, sondern sinnlos und aus reinem Selbstzweck an seinem Platz stand. Schon damals, als Leopold II. all die protzigen Bauten errichten ließ, wurde Kritik laut. Der Sozialistenführer hielt im Belgischen Parlament eine flammende Rede, in der er davor warnte, dass man eines Tages die Bauwerke als »Monumente der verstümmelten Hände« bezeichnen würde.
Der Mann hatte sich schwer getäuscht, dachte Timo mitten im Stau. Weder Einheimische noch Touristen interessierten sich dafür oder wussten, wie das Geld für den Bau der Monumente zusammengekommen war. Ursprünglich hatte es in Belgien keine große Unterstützung für die Idee gegeben, sich eine Kolonie zu beschaffen. Das Land verfügte nicht einmal über eine Handelsflotte, von einer Kriegsflotte ganz zu schweigen. Aber Leopold war auf das Thema fixiert gewesen. Er versuchte, an die Fidschi-Inseln heranzukommen, Land auf Formosa zu pachten und Spanien die Philippinen abzukaufen. Aber niemand wollte verkaufen. In Amerika gab es kein freies Land mehr, auch nicht in Asien. Blieb nur Afrika. Auch das war zum Teil bereits erobert, aber dorthin richtete Leopold II. den Blick.
Er begann seine geheime Operation, indem er sich mit den Berichten von Forschungsreisenden und geografischer Literatur vertraut machte. Schließlich fand er ein passendes Gebiet und einen Mann, der fähig war, seinen Traum wahr werden zu lassen: Henry Morton Stanley. Den engagierte Leopold als »Entwickler« des Kongo.
Er schloss mit ihm einen Fünfjahresvertrag ab. In dieser Zeit gründete Stanley Stützpunkte entlang des Kongo-River, einen nach dem anderen, immer tiefer ins unkartierte Land hinein. Stanley wollte sein Geld im Voraus, denn trotz der peniblen und großzügigen Verträge blieb ihm unklar, ob sein Vertragspartner der König persönlich, die von ihm organisierte »Internationale Afrika-Vereinigung« oder das neue und noch geheimnisvollere Kongo-Komitee war, dessen Anteile sich im Besitz einer Gruppe belgischer Geschäftsleute befanden.
Der Grund für diese undurchsichtige Konstruktion war Leopolds Bemühung, von seiner Kongo-Operation nach außen ein rein humanitäres Bild zu vermitteln. Außerdem wollte er nicht das Interesse eines potenziellen Konkurrenten für den Kongo und dessen Elfenbeinreichtümer wecken. Am meisten Sorgen bereitete ihm Frankreich, das die Gegend bereits erkundet hatte. Aber schon bald erschienen auf der Landkarte die Bezeichnungen Leopoldville, Leopold-Höhe, Leopold-See und Leopold-Fluss.
Die von Stanley gegründeten Stationen waren Militärstützpunkte und Elfenbeinsammelstellen zugleich. Schon als Junge hatte Timo viel von Stanley und dessen rücksichtslosem Vorgehen gehört, aber erst in Belgien waren ihm ein paar fundierte Bücher in die Hände geraten. Darin hieß es, dass vermutlich über die Hälfte aller Kongolesen, die gezwungen worden waren, als Träger zu arbeiten, ihr Leben gelassen hat. Erschöpft von Hunger, Krankheiten und Peitschenhieben, schleppten sie, aneinander gefesselt, gewaltige Lasten auf ihrem Rücken. Selbst Kinder wurden zur Arbeit gezwungen. Wegen der Wasserfälle des Kongo-River mussten die Träger zum Beispiel drei in ihre Einzelteile zerlegte Dampfschiffe ins Innere des Landes transportieren.
Nahrungsmittel beschaffte sich Stanley bei
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