Ewige Nacht
kniff die Augen zusammen. Warum sorgte er sich um das Wohlergehen eines Menschen, der versucht hatte, ihn umzubringen?
Er gab dem Fahrer das Telefon zurück, zog sein eigenes hervor und rief Aaro zu Hause an.
»Ich bin’s«, sagte er mit belegter Stimme. »Wie geht’s?«
»Okay Und dir?«
»Gut. Hast du …«
»Wo bist du?«
»Im Auto. Wundere dich nicht, wenn plötzlich die Verbindung abbricht.«
»Wo im Auto?«
»Auf dem Rückweg nach Brüssel. Hast du das mit dem Schulbus geklärt?«
»Ich hab in der Schule angerufen. Der Bus müsste dieselbe Strecke fahren wir letztes Jahr. Aber du hast versprochen, mich zu bringen.«
»Ich versuch’s. Wir haben ein bisschen Stress bei der Arbeit. Wir sehen uns heute Abend.«
»Eins noch …«
»Wir reden später. Ich muss gerade noch einen dringenden Anruf erledigen.«
Timo legte das Handy zur Seite und blickte aus dem Fenster in die Abenddämmerung. Er rief den Luxemburger an, der für den Informationsdienst der TERA zuständig war.
»Könntest du bitte herausfinden, ob Clemens XV. früher in Afrika tätig war oder spezielle Reisen dorthin unternommen hat?«, fragte Timo.
Warum hatte die G1 den Papst ermorden wollen? Hatte der Anschlag in irgendeiner Weise mit dem Überfall auf den Werttransporter in Finnland zu tun? Steckten dieselben Leute dahinter wie bei dem Erpressungsversuch in Genua? Und vor allem: Hatte das Verschwinden der Kernladung in Russland irgendetwas mit der G1 zu tun, wie das Erpresserschreiben von Genua vermuten ließ?
Timo entnahm seiner Aktentasche die Kopie einer Karte, auf der Mittel-und Ostafrika zu sehen waren. Warum sollte ein Mann, der in Afrika aufgewachsen war und der sich voller Idealismus für Afrika einsetzte, eine Kernladung auf dem Kontinent zünden, den er liebte?
Er suchte das Memorandum heraus, das der italienische Geheimdienst während des Erpressungsversuchs von Genua erstellt hatte. Demzufolge befand sich die Stelle für die Detonation im Südosten des Kongo, an der Grenze zu Tansania: Die Höhlen des Mwanga-Bergs waren den Einheimischen heilig – sie galten ihnen als Urheimat des Menschen und Stätte der Fruchtbarkeit. Ihre Vorstellung wich nicht weit von der wissenschaftlichen These ab, nach der die ersten Menschen die Gegend um die Olduvai-Schlucht und den Lake Turkana bewohnt hatten.
Timo fielen wieder das Kruzifix und die anderen religiösen Bilder in dem Haus ein, in dem er wenige Stunden zuvor beinahe sein Leben verloren hätte. Erst in diesem Moment drang der Gedanke mit seinem ganzen Gewicht in sein Bewusstsein ein. Er musste ihn verdrängen. Er hatte jetzt keine Zeit, sentimental zu werden.
Auf dem Polizeipräsidium hatte er Kopien von den Zeitungsausschnitten machen lassen, die er in dem Haus gefunden hatte. Beim Durchblättern stieß er auf einen Artikel aus einer alten Nummer von ›Newsweek‹: A UF DER S UCHE NACH A DAM UND E VA. Das dazugehörige Foto zeigte den jungen Ralf in einem Labor, milchgesichtig und in weißem Kittel.
Neugierig las Timo die Bildunterschrift: »Dem Human Origins Team zufolge lässt sich die DNA, die im Mitochondrium aller Menschen enthalten ist, auf ein einziges weibliches Wesen zurückführen, das vor 100000 Jahren in Afrika lebte. Die Gruppe unter der Leitung von Professor Allan Wilson hat DNA-Proben von Frauen auf der ganzen Welt gesammelt und miteinander verglichen …«
Wenn also alle Menschen als Nachfahren eines einzigen Menschenpaares gelten konnten, war das Adam-und-Eva-Gemälde an der Wand gar nicht so weit entfernt von dem wissenschaftlichen Material, das Ralf in seinen Schubladen aufbewahrte.
Dieser Gedanke faszinierte Timo auf düstere Weise immer mehr. Der Mordanschlag auf den Papst war ein unfassbar dreistes Verbrechen, die Art der Durchführung suchte ihresgleichen.
Timos Telefon klingelte. Ein Beamter vom TERA-Informationsdienst war dran.
»Der Papst war in Missionsangelegenheiten in Afrika. Zwei Jahre lang war er Bischof in Lüderitz, das damals noch zu Südafrika gehörte.«
»Danke«, sagte Timo nachdenklich.
Während der gesamten Fahrt sah er sich das Material an, telefonierte und stand über sein Palmbook mit dem TERA-Informationssystem in Verbindung. Sein Kopf kam ihm vor wie ein Druckkessel, in dem sich immer mehr Dampf aufstaute. Nachdem er die Zeitungsausschnitte durchgesehen hatte, war es keine Überraschung mehr für ihn, dass aus Kapstadt Material über Ralf gekommen war. Es war ursprünglich vom Bureau of State Security , dem berüchtigten
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