Ewige Nacht
Verantwortung, für den Planeten und die Menschen Sorge zu tragen, aber sie ließen die Erde an dem Dreck ersticken, den die immer bevölkerungsreicheren neuen Konsumgesellschaften produzierten.
Der einzige Mann, der außer den politischen Führern etwas tun konnte, war der Papst.
Aus der Tüte, die Noora auf dem Schoß hielt, drang ein süßlicher Geruch.
Ralf schloss die Augen und lehnte sich ans Fenster. Jetzt war der Papst selbst auf dem Weg dorthin, wohin er durch seine Untätigkeit die Menschen aus den Flüchtlingslagern geführt hatte: in die Hölle.
Seid fruchtbar und mehret euch.
Ralf hatte nun dafür gesorgt, dass das Pendel zurückschlug. Er hatte Hochachtung vor dem Ebola-Virus, dessen genetischer Code – ein einfacher DNA-Strang – in seiner Einfachheit vollkommen war. Sein Molekül war einer der primitivsten Codes des Lebens, und einer der ältesten. Als Molekularanthropologe hätte Ralf in seinen Kern eindringen und Hunderttausende Jahre zurückgehen können, in die Anfangsdämmerung der Spezies Mensch, und noch weiter, in die Morgenröte des ganzen Planeten, denn das Ebola-Virus war über Millionen von Jahren hinweg nahezu unverändert geblieben.
Dieser Gedanke bereitete Ralf große Genugtuung, trotz des Drucks, unter dem er stand.
Müdigkeit, Übelkeit und Aufregung hatten Noora in einen quälenden Halbschlaf versetzt. Sie wäre am liebsten umgekehrt, nach Deutschland oder noch lieber nach Finnland zurückgeflogen. Sie schämte sich für den Gedanken, dass es vielleicht doch das Beste war, wenn man von Ferne für den Kontinent kämpfte.
Plötzlich tauchten im Scheinwerferkegel des Autos bis an die Zähne bewaffnete schwarze Soldaten an einem Schlagbaum auf. Die Atmosphäre im Wagen war wie elektrisiert.
»Willkommen im Kongo«, murmelte Ralf mit einer Stimme, aus der Anspannung und Verachtung herauszuhören waren.
Nzanga kurbelte das Fenster herunter, reichte einem Soldaten einen abgegriffenen Umschlag und sagte zu Noora etwas in einer Sprache, die sie nicht verstand. Erst jetzt begriff sie, dass der Fahrer Kongolese war.
Die angespannte Stimmung im Wagen blieb auch nach der Grenze bestehen. Ralf reckte sich über die Rückenlehne und holte nacheinander zwei Maschinenpistolen hervor. Eine davon reichte er nach vorn.
»Ihr scheint den Kongolesen nicht sonderlich zu trauen«, bemerkte Noora trocken.
»Es geht nicht um die Kongolesen«, sagte Ralf. »Es geht um Menschen, die über Generationen hinweg unter dem Kolonialismus und seinen Folgen gelitten haben. Unter der Vorstufe der heutigen Globalisierung. Der Staat Kongo basiert auf dem systematischen und kalkulierten Einsatz von Sklavenarbeit. Was für Menschen wachsen in einem Land des Terrors und der rücksichtslosen Gewalt denn heran?«
Noora starrte in die Dunkelheit. Sie war müde, doch sie konnte im Auto nicht schlafen. Die Straße wurde immer unwegsamer, und die harte Federung vermochte es nicht, die Unebenheiten abzudämpfen.
»Die Belgier haben im Kongo dasselbe getan, was die Großkonzerne heute überall auf der Welt tun«, sagte Ralf. »Zu Leopolds Zeit stieg der Preis für Rohgummi auf dem Weg von den Sammelstellen im Kongo bis zum Hafen von Antwerpen um 700 Prozent. Und wie reich wurden die Einheimischen durch die märchenhaften Gewinne? Als der Kongo 1960 selbstständig wurde, hatten von fünfzehn Millionen Einwohnern genau siebzehn studiert.«
Noora hatte nicht die Kraft, über die Globalisierung als Form des Spätkolonialismus zu diskutieren, und Ralf setzte seinen Monolog nicht weiter fort. Ilgar saß still auf seinem Platz. Der konsequent, aber verletzlich wirkende Mann war Noora ein Rätsel.
Irgendwann fiel sie in einen unruhigen Halbschlaf. Es ging unendlich weiter geradeaus, mal auf besseren Straßen, dann wieder auf schlechteren. Schließlich fuhren sie auf einer löchrigen Piste, die mitten in die üppige Vegetation hineingeschlagen worden war. Sträucher und Obeche-Bäume kratzten am Blech, während sie immer weiter ins vom Vollmond erleuchtete Grün vordrangen.
Dann tat sich eine große Lichtung auf, an deren Rändern Lagerhallen, Behälter mit Pflanzenschutzmitteln sowie Hütten aus Lehm, Stroh und Wellblech standen. Hier und da flackerte ein Feuer.
Nzanga hielt vor einem Drahtzaun, und Ilgar stieg aus. Hinter dem Zaun standen zwei weiß gekalkte Gebäude, die von einer einsamen Straßenlaterne erleuchtet wurden. Noora folgte ihm. Sie standen auf einem unebenen Gelände voller Pfützen. Die heiße,
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