Ewiger Schlaf: Thriller
völlig erschöpft. Lily schlief seit einer Stunde – das wusste er, weil sie schnarchte. Eine Zeit lang hatte er befürchtet, sie wolle gar nicht schlafen. Nachdem sie einmal zum Orgasmus gekommen war, war sie in jenem erregten Zustand geblieben, in dem jede zusätzliche Stimulation einen weiteren Höhepunkt auslöst. Als auch Waters zum Orgasmus gekommen war, machte Lily sich sofort wieder an ihm zu schaffen. Sie setzte Lippen und Finger mit geübter Sicherheit ein und drang in seine intimsten Bereiche vor – mit Techniken, die sie bestimmt nicht an der Supermarktkasse aus einem Artikel im Cosmopolitan gelernt hatte. Sein Zeitempfinden verschwamm, und er bewegte sich durch eine irritierende Dimension, in der Schmerz und Lust zu einer Einheit verschmolzen, die jenseits beider Empfindungen lag. Diese Gefühle waren ihm nicht neu; erst Tage zuvor hatte er sie mit Eve erlebt. Und davor ... vor zwanzig Jahren. Die Anstrengung, seine Angst zu verbergen, während er sexuell funktionieren musste, verwandelte ihn in ein zitterndes Wrack, und als Lily schließlich auf ihr Kissen sank, verspürte er dankbare Erleichterung.
Jetzt lag er in der Dunkelheit. Zweifel an seinem Geisteszustand überkamen ihn. Wenn das paranoide Gehirn sich erst auf eine bedrohliche Szenerie eingeschossen hatte, knüpfte es ominöse Verbindungen zwischen offenkundig nicht zusammenhängenden Ereignissen – das hatte er tausend Mal bei Mallory gesehen. War dieselbe Macht jetzt in ihm am Werk? Waren die Ängste, die sich während der letzten zwei Stunden seines Verstandes bemächtigt hatten, nur eine Folge des Schocks, Eve getötet zu haben? Waren ...
Waters erstarrte im Bett.
Lily hatte zu schnarchen aufgehört. Er horchte auf ihren Atem, hörte aber nichts. Wie war es möglich, dass er keinen Laut hörte? Sie musste doch atmen! Er horchte noch genauer, und die Härchen auf seinem Rücken und im Nacken stellten sich auf. Sie sieht mich an, dachte er. Er fühlte ihren Blick im Rücken wie einen Laserstrahl und versuchte, sich für ihre Berührung zu wappnen, für den Klang ihrer Stimme. Was denkst du, Johnny? Oder würde sie noch weiter gehen? Ich weiß, was du denkst ...
Aber sie konnte es nicht wissen. Menschen konnten die Gedanken anderer Menschen nicht lesen. Und Seelen konnten nicht von Körper zu Körper wandern. Genau genommen glaubte Waters nicht einmal an Seelen. Er glaubte an Erfahrungen. Natürlich war es Teil seiner Erfahrungen, im Dunkeln aufzuwachen und zu sehen, wie Mallory ihn mit dem lidlosen Blick eines Reptils anstarrte. Das Gleiche hatte er mit Eve erlebt. Wenn er sich jetzt umdrehte, und Lily starrte ihn genau so an, würde er wahrscheinlich vor Entsetzen schreien ...
Dreh dich um, befahl er sich. Du bist kein verängstigtes Kind!
Er bereitete sich auf den Anblick eines fleisch gewordenen Albtraums vor, drehte sich um und blickte in Lilys Gesicht.
Ihre Augen waren geschlossen.
Ihr Mund stand offen, ihr Kopf war leicht geneigt – eine unkontrollierte Schlafpose. Während die Angst langsam aus Waters herausrann, begann Lily wieder zu schnarchen. Sie war keine hyperaktive Furie, die auf den richtigen Moment wartete, um zuzuschlagen – sie war eine erschöpfte Ehefrau, die sich ausruhte nach der Anstrengung und Ekstase, die sie sich zu lange versagt hatte.
»Himmel«, flüsterte er. »Die Sache ist wirklich außer Kontrolle.«
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14
J ohn? Ist da John Waters?«
Waters blinzelte sich wach. Er hielt den Hörer in der Hand. Lily war gegangen. Das Bett war völlig verwüstet, und helles Tageslicht schien zwischen den Vorhängen ins Zimmer.
»Hier Waters«, murmelte er. »Mit wem spreche ich?«
»Tom Jackson.«
Er war sofort hellwach. »Was kann ich für dich tun, Tom?«
»Hört sich so an, als hätte ich dich geweckt.«
Lilys Radiowecker zeigte 9.15 Uhr; normalerweise war Waters um 8.30 Uhr im Büro. »Ich hatte gestern Abend Kopfschmerzen. Hab wohl verschlafen.«
»Tut mir Leid. Hör mal, ich habe da noch eine Frage.«
»Raus damit«, sagte Waters und dachte an Penns Warnung: Die Polizei hat eine neue Spur. Caitlins Informant glaubt, deinen Namen gehört zu haben ...
»Wir haben hier eine Lady, die aussagt, sie habe dich und Eve Sumner in der Woche vor dem Mord an zwei aufeinander folgenden Tagen in die Einfahrt von Bienville fahren sehen.«
Waters wartete auf noch mehr Einzelheiten, doch Jackson sagte nichts weiter.
»Das ist richtig.« Die Haut seines Gesichts schien um seinen Schädel herum zu eng zu
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