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Ewiger Schlaf: Thriller

Ewiger Schlaf: Thriller

Titel: Ewiger Schlaf: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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waren die Gärtner oder andere Pärchen auf der Suche nach einem ungestörten Plätzchen.
    Waters stieg die Treppen neben dem riesigen Kreuz hoch, zu einem hölzernen Aussichtspunkt, den man über einer alten Zisterne errichtet hatte. Hier aßen die schwarzen Männer, die sich im ewigen Kampf gegen das Gras auf dem Friedhof befanden und das Versprechen der »Dauergrabpflege« einlösten, ihre Mortadella-Sandwiches aus Papiertüten. Statt Wasser enthielt die Zisterne jetzt Fastfood-Tüten und Coladosen. Waters lief unterhalb des Aussichtspunkts zurück zum hinteren Teil des Hügels und blickte hinunter auf den Grasstreifen, auf dem er vor so vielen Jahren so viele Stunden mit Mallory verbracht hatte. Nichts hatte sich verändert. Ein paar Mauerrisse waren tiefer geworden, ein paar weitere Ziegelsteine waren heruntergefallen; ansonsten aber sah alles so aus wie immer. Was hatte er erwartet? Die Sonne schien, der Regen fiel, das Gras wuchs, die Rasenmäher mähten, die Toten blieben tot.
    Er blickte nach rechts und verspürte eine erregende Versuchung. Auf der anderen Seite des Wegs lagen im Schatten herunterhängender Äste zwei Rechtecke, geformt von niedrigen Mauern, die sehr alte Gräber einfassten. Hinter einer dieser Mauern hatte Waters vor vielen Jahren ein Einmachglas fünfzehn Zentimeter tief in der Erde vergraben. Immer wenn Mallory oder er zu einem Rendezvous zu spät kamen – oder zu früh und wieder gehen mussten –, hinterließen sie dem anderen eine Nachricht in diesem Glas. Tut mir Leid, ich habe dich verpasst. Ich liebe dich SO sehr. Oder: Ich komme um 15.30 Uhr wieder. BITTE versuch hier zu sein. Ich brauche dich. All die infantile Überschwänglichkeit und obsessive Logistik heimlicher Liebhaber. Er fragte sich, ob das Glas immer noch da war.
    »Was soll’s«, sagte er. Er überquerte den Hügel und ging hinunter in die tiefen Schatten der herabhängenden Äste.
    Als er sich näherte, hörte er ein Huschen im Unterholz, wahrscheinlich ein Opossum oder ein Gürteltier, das seine Fußtritte aufgeschreckt hatten. Ein zarter Blumenduft hing in der Luft, und als er über die niedrige Mauer stieg, hatte er das Gefühl, einen schwach beleuchteten Raum zu betreten. Er beugte sich über die hintere Mauer und sah ein dick verheddertes Netz aus Unkraut, das den Boden bedeckte. Obwohl es fast zwanzig Jahre her war, fand seine Hand instinktiv genau die Stelle, an der er das Loch gegraben hatte, und in diesem Augenblick des Tastens verspürte er dieselbe Aufregung wie vor Jahren, die prickelnde Vorfreude, eine Liebeserklärung oder ein offenes Geständnis von Mallorys sexueller Lust zu lesen. Gleichzeitig hatte er Angst. Er war hier einmal fast von einer Korallenschlange gebissen worden, einer schönen Vorbotin des Todes, die sich in den Gräsern neben der Mauer gesonnt hatte. Korallenschlangen waren in Mississippi selten, doch es gab sie, und sie waren weit tödlicher als die Mokassinschlangen und die Klapperschlangen, denen man im Sommer hin und wieder begegnete, wenn man viel Zeit in den Wäldern verbrachte.
    Unter dem Unkraut fanden Waters’ Finger eine Vertiefung in der kühlen Erde, eine flache Mulde, wie sie sich auch auf morschen Baumstümpfen bilden. Er steckte den Zeigefinger in die feuchte Erde, bis er auf etwas Flaches, Hartes traf. Er weitete das Loch mit dem Finger, kratzte ein wenig Schmutz beiseite und ergriff den runden Deckel. Das Einmachglas ließ sich leicht aus dem Boden ziehen. Der durchsichtige Behälter war von einer braunen Schicht Erde überzogen, und der früher glänzende Messingdeckel war zu einer orangebraunen Kappe aus Rost geworden. Waters lächelte voller Nostalgie, als er ein Stück Papier auf dem Boden des Glases liegen sah. Doch es war kein schimmliges, vergilbtes Stück, sondern ein sorgfältig gefaltetes Blatt blaues Notizpapier, das aussah, als läge es erst seit gestern hier.
    Himmelblaues Papier ...
    Sein Herz klopft heftig. Er fuhr herum. Plötzlich war er sicher, beobachtet zu werden. Noch beängstigender jedoch war das Gefühl, einer Spur aus Brotkrumen zu folgen, die von jemandem gelegt wurde, der ihm vier Schritte voraus war – jemandem, der ihn an den Fesseln seiner Schuld und Reue hinter sich her zog. Wenn das der Fall war, kannte diese Person all seine Geheimnisse, und auch Mallorys. Zumindest wusste sie, dass Mallory stets blaues Notizpapier benutzt hatte. Waters spähte besorgt den Catholic Hill hinauf, sah aber nur Grabsteine, leere Wege und sich sanft

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